Donnerstag, 30. April 2015

ENTLANG DER SCHIENEN

Man muss in Hanoi keine Angst davor haben, sich zu verlaufen.

Natürlich verläuft man sich ständig und überall.

Ist doch unvermeidbar: 

Das dichte Gassengewirr in der Altstadt.

Die sinnlosen Straßenschilder, die man zwar lesen, deren Beschriftung man sich aber unmöglich merken kann.

Der stets bedeckte Himmel, der jeden Versuch, sich am Stand der Sonne zu orientieren und zumindest eine Himmelsrichtung zu erahnen, scheitern lässt.

Aber man muss eben keine Angst vor dem Verlaufen haben. Es passiert einem nichts.

Wer trotzdem auf Nummer Sicher gehen will, dem sei empfohlen: Folge den Schienen.


   

Dann kann wirklich nichts schiefgehen.

Und ein bisschen was zu sehen bekommt man auch... 

   



   


    



  
   



  


   
     



  
   





Sonntag, 26. April 2015

ALLE JAHRE WIEDER

Ich sage Dinge ungern zweimal.

Zum Beispiel, dass bei uns unter dem Dachboden NICHT geflogen wird.

Nachdem wir im letzten Jahr mit den von mir ins Leben gerufenen Demonstrationen (nachzulesen hier: MONTAGSDEMO ) erreicht hatten, dass unter unserem Dach eine allgemein anerkannte Flugverbotszone eingerichtet wurde, hat sich letzte Woche offenbar tatsächlich jemand über dieses Verbot hinweggesetzt.

Und unmissverständliche - unappetitliche - Spuren genau neben meinem Schreibtisch hinterlassen.

Wir haben dem ungebetenen Gast umgehend ein formelles Hausverbot erteilt und dieses durch erneutes Verschließen eines kleinen Lochs im Dach im wahrsten Sinne des Wortes "untermauert".

Und sind selbstverständlich davon ausgegangen, dass "nun Ruhe sei".

Falsch gedacht: Als Felix vorgestern Abend am Schreibtisch saß, flatterte plötzlich etwas um seinen Kopf herum: Eine Fledermaus gigantischen Ausmaßes!

Der Felix - dem Tod ins Auge blickend - tapfer entgegentrat und die sich dann - erschüttert von seinem Kampfesmut - irgendwo im Dachgebälk versteckte. Und verschwunden blieb.

Bei dem Gedanken, dass dieses Monster nun mit uns unter einem Dach wohnte und mir jederzeit "um die Ohren fliegen" könnte, wurde mir ganz anders. 

Ein Elefant im Vorgarten. Kein Problem. Ein Wal im Gartenteich. Auch kein Problem. Aber ein blutrünstiges Vampirwesen mit riesigen Augen, Krallen und Flügeln im Haus - das geht zu weit.

Hilfe - in Person eines Handwerkers (den man hier bei Anmietung einer Immobilie idealerweise gleich mitmietet, weil irgendwie immer und überall Reparaturbedarf besteht) - wurde herbeigerufen und machte sich sofort an die Untersuchung des Dachs auf weitere Schlupflöcher.

Ich beobachtete das Ganze aus - vermeintlich - sicherer Entfernung, als sich plötzlich ein riesiger dunkler Schatten aus einem Dachwinkel löste und mir entgegenflatterte.


Ich duckte mich gerade noch rechtzeitig, um der Bestie auszuweichen, spürte den Luftschlag ihrer riesigen Flügel, war für einen Moment Auge in Auge mit dem Ungeheuer - und schrie!

Das hätte ich mal besser nicht getan: Was natürlich lediglich als "Warnschrei" für meine Familie gedacht war, wird mir nun von Kindern und Mann als peinliche "Panikattacke" ausgelegt! Das hat man dann davon...

Zugegebenermaßen fiel der Handwerker, der durch das Anheben eines Ziegels die Fledermaus aufgeschreckt hatte, beim Erklingen meines Schreis tatsächlich fast selber vom Dach - vor Lachen.

Dann kam er aber schnell heruntergeklettert, entdeckte das Monstrum, das sich mittlerweile an einer Wand festgekrallt hatte und bat mich, besser eine Etage tiefer zu warten.

Vermutlich wollte er mir ersparen, Zeugin eines blutig endenden Zweikampfes zu werden. Ich nahm das Angebot dankbar an. Wollte ich doch vor allem den Kindern den grauenvollen Anblick ersparen, sollte es zu einem letzten Kampf auf Leben und Tod kommen.  

Obwohl: Selbstverständlich ist Tierschutz auch hier in Vietnam ein omnipräsentes Thema. Und so beließ es der Handwerker offenbar bei einem einzigen beherzten Schlag, der die Riesenfledermaus zumindest kurzfristig kampfunfähig machte.

Wie das bei Großwildjägern üblich ist, machten wir - so lange die Ohnmacht des Ungetüms noch anhielt - ein paar Aufnahmen. Als Beweis für seine Enkel und Urenkel (die des Handwerkers).


Dann trug er sie die Treppe herunter, während ich mich mit den Kindern sicherheitshalber hinter der verschlossenen Schlafzimmetür verbarrikadierte, und entsorgte das Tier. Sprich, er brachte es an einen ruhigen Ort, wo es wieder zu Kräften kommen konnte - irgendwo bei den Müllsäcken...



Ich sage Dinge eben ungern zweimal. Und wenn ich sage:  Unter unserem Dach wird nicht geflogen - dann hält man sich besser daran. 

Ich bin da eiskalt.


Samstag, 25. April 2015

ZU SPÄT


"Your message has been sent."

Entsetzt starre ich auf den Bildschirm. Was habe ich nur getan? 

Wenige Stunden zuvor: 

Es wird Frühling in Hanoi. Die Kinder kommen aufgeregt nach Hause und erzählen, dass bald wieder der Aquathlon stattfindet - und dass sie in diesem Jahr beide daran teilnehmen wollen.

Aquathlon - das ist einer der vielen sportlichen Höhepunkte im Kalender der UNIS. Erst schwimmen, dann laufen - entweder alleine oder als Team. Schüler können sich zusammentun oder Eltern und Kinder können als Family-Team dabei sein.

Es gibt eine längere und eine etwas kürzere Strecke - ein Riesenspaß, aber angesichts der Temperaturen, die hier oft schon im März herrschen, auch eine ganz schöne Herausforderung...

Lotta will diesmal gemeinsam mit einer japanischen Klassenkameradin als "Student-Team" antreten. "Aber für die lange Strecke, Mama, dann ist es schwieriger!" Na dann... Viel Spaß.

Und auch Luis will diesmal unbedingt dabei sein, wird aber von seiner Schwester sofort darauf hingewiesen, dass er die 200 m Schwimmen, die zur Kurzstrecke gehören, kaum schaffen wird.
"Aber laufen kannst Du ja prima", tröstet sie ihn etwas gönnerhaft. 

Ein Teampartner für Luis muss her. Und da kommt nur einer in Frage: Mama. Findet Luis.

"Weißt Du Luis, ich bin zwar früher richtig toll geschwommen, aber das ist über dreißig Jahre her," versuche ich mich herauszuwinden. "Und Du weißt doch, dass ich im Urlaub immer ganz ganz lange brauche, bis ich überhaupt im Pool bin, weil ich kaltes Wasser nicht mag... Und außerdem guckt da die halbe Schule zu..."

Luis schaut mich mit seinen großen blauen Augen an. Sehe ich da eine kleine Träne zwischen seinen langen Wimpern?

"Obwohl..." stottere ich. "Ich könnte ja im Urlaub ein bisschen trainieren... Oder mal mit Lotta abends in die UNIS fahren und üben... Und schwimmen verlernt man ja auch nicht... Also ich kann es mir ja mal durch den Kopf gehen lassen... Aber eigentlich ..."

Zwei kleine Arme umschlingen mich, ich spüre einen feuchten Kuss auf der Wange. "Mama - du bist die Beste! Wie wollen wir unser Team nennen? The Hobbits? Das finde ich super!"

Und so sitze ich abends am Computer, trage unsere Daten auf dem Anmeldeformular ein, seufze noch einmal schwer und klicke auf "senden". Zu spät. Jetzt komme ich nicht mehr raus aus der Nummer.

Dreieinhalb Wochen bleiben zum Training. In der ersten Woche habe ich eine Halsentzündung. Viel Medizin - kein Sport. Danach fliegen wir zwei Wochen in den Urlaub. Zwar gibt es in fast allen Hotels einen Pool, aber zum einen lässt sich in einem 8 m langen Becken nicht wirklich trainieren und dann verhindern die arktischen Wassertemperaturen (weit unter 30 Grad), dass an Schwimmen überhaupt zu denken ist...

Schneller als erwartet ist er dann auch schon da, der große Tag, und mit schlotternden Knien stehe ich - vollkommen untrainiert - in der Schwimmhalle am Beckenrand. Worauf habe ich mich da nur eingelassen...?

Luis sitzt mit den anderen Läufern auf der Bank. Kommt mir das nur so vor - oder sind die alle doppelt so groß wie er?

   
Luis ermahnt mich noch mal "mich auch richtig anzustrengen" - schließlich will er nicht als Letzter ins Ziel kommen.

Zum Glück bleibt nicht mehr lange Zeit zu grübeln. Gleich bin ich an der Reihe...
   
  
... und schwimme ...



... und schwimme...


   
... und schwimme...



Um ehrlich zu sein - ich hätte am liebsten nach 75 Metern aufgegeben, aber da steht plötzlich die liebe Petra am Beckenrand und feuert mich so kraftvoll an, dass die übrigen fünf Bahnen plötzlich nicht mehr unüberwindbar scheinen. 

Ich gebe alles, klettere nach unendlich scheinenden Minuten vollkommen erschöpft aus dem Becken - und übergebe mit letzter Kraft an Luis.

    
     

Der auch sofort losstürmt...





... und rennt...



... und rennt...


  
... und rennt (oder schwebt er?) ...


   
... als ob es kein Morgen gäbe...



 - liebevoll ermuntert von seiner Teampartnerin - 



   
 ... von der er hinter der Zielgeraden begeistert in Empfang genommen wird ...



... und geherzt... ob er will oder nicht.
    
   
 Geschafft! Wir haben es tatsächlich geschafft! 


   
Und bekommen - wie alle anderen auch - eine Aquathlon Medaille!

     
Und dann geschieht das Unglaubliche: Die Sieger in der Kategorie KURZSTRECKE -FAMILY TEAM werden aufgerufen.

Die HOBBITS -  DAS SIND WIR!!!

Luis schaut mich an - er kann es genauso wenig glauben wie ich - und dann gehen wir nach vorne und bekommen ihn: den Preis für das Gewinnerteam: THE HOBBITS!!!




Womit der Beweis erbracht wäre: Es ist nie zu spät. Sich was zu trauen.



Donnerstag, 23. April 2015

TERMINSACHE


Die Vietnamesen werden wegen ihrer Pünktlichkeit häufig als die "Preußen Asiens" bezeichnet.
Sie reagieren auf dieses Kompliment meist mit einem verlegenen Lächeln.
Dachten wir. In Wirklichkeit lachen sie uns aus.


Im Februar 2011 beschloss die vietnamesische Regierung, ein neues Terminal am Flughafen Noi Baa in Hanoi zu bauen.

Am 2. April 2012 um 10.00 Uhr begannen die Bauarbeiten.

Am gleichen Tag versandte die vietnamesische Regierung die Einladungskarten für die feierliche Eröffnung, die knapp drei Jahre später, am 4. Januar 2015, vormittags um 10.00 Uhr stattfinden sollte.

Am 4. Januar 2015 fand vormittags um 10.00 Uhr die feierliche Einweihung des neuen Flughafenterminals statt.

Die Bilder dieser Veranstaltung waren weltweit zu sehen - auch in Berlin. Und es verwundert wohl kaum, dass sie die Verantwortlichen für den Bau des Berliner Flughafens auf den Plan riefen.

Die konnten nicht glauben, dass es nicht nur möglich sein sollte, einen funktionsfähigen Flughafen fertig zu stellen, sondern dies auch noch im vorgesehen Zeitplan zu schaffen.

Man entschloss sich daher, umgehend ein Expertenteam nach Hanoi zu schicken, das den mysteriösen Neubau einmal genauer unter die Lupe nehmen sollte. Natürlich undercover!

Die Wahl fiel auf ein erfahrenes Ermittlerduo, das in der Vergangenheit bereits unter dem Decknamen "Bernhard und Bianca" agierte. 

Als vietnamesische Touristen getarnt, flogen die deutschen Agenten nach Hanoi, um dort den Realitäts-Check am neuen Flughafenterminal zu machen.



     
Repräsentative Eingangshalle. Checked.







Kofferband. Checked.




Wartesaal. Checked.



Feuerlöschbecken. Checked.



   
Transferanschlüsse in die Innenstadt. Checked.



   
Bedauerlicherweise musste die Spionagemission an dieser Stelle abgebrochen werden.

Die vietnamesischen Sicherheitsbehörden hatten Lunte gerochen und den Verdacht geäußert, dass es sich bei den "Touristen" gar nicht um Vietnamesen handelte...

Ob das an den Koffern lag...?




Glücklicherweise reichten die gewonnenen Erkenntnisse dennoch für einen Abschlussbericht, der dann auch gleich nach Deutschland übermittelt wurde.

Kernaussage: Das neue Terminal ist nicht nur fertig - es funktioniert auch noch.

Abschlussempfehlung: Als Nachfolger für den zurückgetretenen Geschäftsführer des Hauptstadtflughafens Mehdorn sollte unbedingt ein Vietnamese eingesetzt werden.