Man merkt, dass man alt wird, wenn man mit der Straßenbahn fährt und sich ärgert, wenn eine alte Dame auf wackeligen Beinen und mit Gehstock einsteigt.
Nicht über die alte Dame. Aber über die Teenager, die sich auf den Sitzen direkt neben der Tür lümmeln, mit offenem Mund Kaugummi kauen und nicht im Traum darauf kommen würden, aufzustehen und der alten Dame ihren Platz anzubieten.
Tut mir leid, wenn ich da etwas altmodisch bin. Aber das haben wir damals geradezu mit der Muttermilch aufgesogen: Für alte Leute macht man Platz.
Um ehrlich zu sein: ich hatte das als Kind so verinnerlicht, dass ich vermutlich auch für Leute aufgestanden bin, die so alt waren, wie ich es heute bin. Seltsam, dass ich damals nicht bemerkt habe, dass die vermeintlich Hilfsbedürftigen eigentlich in der Blüte ihres Lebens standen.
Doch zurück zu den alten Leuten. Und zu Vietnam.
Neulich war ich abends mit der Fototruppe (angeführt von Matthias, dem Peter Lindbergh Asiens) in der Altstadt und danach auf der Long Bien Brücke unterwegs.
Die Long Bien Bridge beginnt am Rande der Altstadt und führt über die „Stadtautobahn“ Au Co hinweg.
Dahinter überquert sie einen Markt und dann die Felder, die den Stadtrand markieren.
Und schließlich den Roten Fluss.
Und schließlich den Roten Fluss.
Die Brücke sieht ein wenig so aus, wie ein umgekippter Eiffelturm, aber das liegt vermutlich daran, dass beide - Turm und Brücke - französische Erbauer hatten.
In der Mitte der Brücke verlaufen die Schienen.
Auf ihnen verkehrt die staatliche vietnamesische Eisenbahn von Sapa im Norden bis nach Ho Chi Minh City im Süden.
Rechts und links der Schienen verläuft jeweils eine schmale Straße, auf der nur Mopeds unterwegs sind.
Das allerdings in einem Höllentempo.
Zwischen den Fahrbahnen und dem - das war auch in der Dunkelheit noch gut zu erkennen - unglaublich tiefen Abgrund rechts und links der Brücke, gibt es jeweils einen schmalen Fußweg.
Man läuft auf Steinplatten, die lose auf der Metallkonstruktion aufliegen. Das scheppert beim Gehen ganz schön...
Nun bin ich unglücklicherweise ein Mensch, der es "nicht so mit großen Höhen hat“, wobei groß in meinem Fall ab 2 Metern beginnt.
So hielt ich mich denn auch konsequent genau in der Mitte des schmalen „Bürgersteigs“. Auf der einen Seite die Fahrbahn mit dem todbringenden Verkehr und auf der anderen nur ein rostiges Geländer zwischen mir und dem Abgrund.
Und da kam er: Ein älterer Herr, mit wehendem weißen Haar, faltigem Gesicht, gekleidet in ein - nennen wir es mal „luftiges Höschen“ und auf etwas wackeligen Beinen. Ganz offensichtlich auf seinem täglichen Abendspaziergang.
Eine gewisse Ähnlichkeit mit Ho Chi Minh war nicht von der Hand zu weisen und trotz des vorteilhaften Lichtes, in das die untergehende Abendsonne die Brücke tauchte - er sah auch keinen Tag jünger aus als "Bruder Ho" es heute wäre.
Bei mir blitze sofort der Straßenbahnreflex auf: Ohne Rücksicht auf die eigene Sicherheit sprang ich auf die Fahrbahn mit den vorbeiflitzenden Motorrädern, um dem gebrechlichen alten Mann den sicheren Fußweg zu überlassen.
Der ging dann auch huldvoll und im Innersten gewiss zutiefst dankbar an mir vorbei.
Beglückt marschierte ich weiter, schoss hier und da ein paar „Brückenimpressionen“ und vergaß darüber fast die Begegnung.
Fast. Denn plötzlich sah ich ihn wieder. Den hilfsbedürftigen älteren Herrn.
Der machte am Brückengeländer hoch über dem Roten Fluss seine abendlichen Gymnastikübungen.
Das war dann einer dieser Momente, die mein Mann so liebt.
Ich war sprachlos.
Ich war sprachlos.
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