Freitag, 17. Oktober 2014

DES KAISERS NEUE KLEIDER

Manchmal reicht ein einziger Satz, um die Stimmung im Urlaub auf den Nullpunkt sinken zu lassen.

Zum Beispiel dieser hier, ausgesprochen an unserem zweiten Urlaubstag in Hue, direkt nach dem Frühstück:

"So, Kinder, heute machen wir mal was ganz Tolles und schauen uns den Kaiserplast und die Ruinen des Grabmales von Tu Duc an!"

Um einen solchen Tag zu retten, muss man sich ganz schön was einfallen lassen...

"Sagt mal, die Geschichte von dem schlimmen Kaiser Tu Duc, den niemand leiden konnte, habe ich Euch doch schon mal erzählt, oder?"

"NEIN!!!!! Hast Du nicht!!!"

"Also, das war so:

Vor vielen Jahren, war nicht Hanoi die Hauptstadt von Vietnam, sondern Hue. 

Hue, das heißt übersetzt "Harmonie", aber wirklich harmonisch war das Leben in Hue nicht. 
Obwohl es doch eigentlich so schön hätte sein können...

Hue liegt am Parfümfluss und der hieß schon damals so, weil er meistens so gut roch. Zum Beispiel immer dann, wenn die Blüten der Uferbäume auf das Wasser fielen oder wenn die Waldarbeiter edle Hölzer fällten und auf dem Fluss zum nächsten Ort treiben ließen.




Über den Fluss führten unzählige kleine Brücken. Nicht so moderne aus Beton und Stahl wie man sie heute sieht, sondern kunstvoll geschnitzte aus Holz, mit vielen Verzierungen und einem Dach, das Schatten spendete... 



In manchen dieser Brücken gab es sogar kleine Geheimgänge, durch die man auf die andere Seite des Flusses klettern konnte!




Doch während das Leben der Menschen sehr einfach und ohne jeden Komfort war - die Frauen mussten zum Beispiel die Wäsche und das Geschirr immer im Fluss waschen, weil sie in ihren Häusern und Hütten kein fließendes Wasser hatten...




... - wohnte der eingebildete und strenge Kaiser in einem Palast, der eine eigene kleine Stadt war und so prächtig, das man es sich kaum vorstellen kann.



Er war umgeben von einem tiefen Wassergraben und dicken Mauern, so hoch wie Berge.




Normale Leute durften die Kaiserstadt nicht betreten. 

Sie konnten nur hin und wieder einen Blick vom anderen Ufer des Flusses aus auf die Festungsanlagen werfen...




Und aus der Ferne konnten sie die Dächer der Kaiserstadt sehen, wenn die abends in der untergehenden Sonne leuchteten...




Allein die Beamten des Königs, die er brauchte, um seinen riesigen Staat zu verwalten, durften eines der wenigen Tore passieren.



Dahinter verbarg sich die Verbotene Stadt. Für jeden erdenklichen Zweck gab es darin einen eigenen Tempel...




... und einer war größer und prächtiger als der nächste.



Für Besucher gab es einen ganz besonders edlen Palast. Der war innen mit wunderschönem roten Lack und Gold gestaltet. 



Aber auch die anderen Paläste waren kunstvoll ausgestattet.



In den innersten Bereich der Stadt, den richtigen Kaiserpalast, durften nur die allervertrautesten Diener des Kaisers.




Dort stand der Thron des Kaisers - der war aus purem Gold!




Und dort befanden sich auch die kaiserlichen Geschäfte.



Und die kaiserliche Schneiderwerkstatt.




Der Kaiser war nämlich nicht nur sehr streng und ungerecht gegenüber seinem Volk, er war auch noch schrecklich eitel und wollte jeden Tag ein neues Gewand tragen.  Und jedes Mal sollte es noch leuchtender und bunter als das des Vortages sein.

Eines Tages geschah etwas Unerwartetes: Der Kaiser verließ seinen Palast und machte einen Spaziergang durch seine Gärten.

Die wurden von einem fleißigen Gärtner namens Bao und dessen Sohn Hong gepflegt.




Und weil die beiden ganz besonders fleißige Gärtner waren, blühten die Blumen in ihrem Garten auch besonders schön.










Statt sich aber nun darüber zu freuen, dass er einen so schönen Garten hatte, bekam der Kaiser plötzlich einen schrecklichen Wutanfall!

Er fand es einfach unerhört, dass ein einfacher Gärtner sich erdreistete, Blumen in seinem Garten zu pflanzen, die bunter leuchteten als die Kleider des Kaisers.

In seiner ersten Wut wollte er den Gärtner hinrichten lassen, nachdem er aber eine Tasse Jasmintee getrunken hatte, beruhigte er sich wieder etwas.




Er entschied, dass der Gärtner und sein Sohn nicht hingerichtet würden, sondern nur zu den kaiserlichen Transportfahrern strafversetzt würden.

Das war für Bao und Hong immer noch eine schlimme Strafe, denn sie liebten ihre Gärten sehr und die kaiserlichen Rikschafahrer waren eine ziemlich faule Truppe, ganz anders als die beiden fleißigen Gärtner...







Als Bao und Hong am nächsten Tag ihren Dienst als Rikschafahrer antreten wollten, stellten sie überrascht fest, dass die Tore zur Verbotenen Stadt offen standen.




Selbst der Durchgang zum Kaiserpalast war geöffnet und der Wächter, der das Tor bewachen sollte, ließ offenbar jeden passieren, ...




... ob Mensch oder Tier.




Entsetzt sahen Bao und Hong, dass Beamte mit wertvollen Kunstwerken auf dem Arm den Palast verließen.



Was war geschehen? Der Kaiser war in der Nacht gestorben. Und es gab nicht viele Menschen in Hue, die darüber traurig waren.
Wenige Tage später wurde Tu Duc in einer riesigen Grabanlage bestattet. Die war schon Jahre zuvor auf seinen Befehl hin errichtet worden. Um das eigentliche Grab herum hatte der Kaiser eine riesige Parkanlage anlegen lassen.
Und nun ratet mal, wer damit beauftragt wurde, die riesige Parkanlage zu pflegen? Richtig - Bao und sein Sohn Hung durften wieder als Gärtner arbeiten und so lange die beiden lebten, waren die Gärten der ganze Stolz der Stadt.
Das alles ist nun ewig her und schon lange kümmert sich niemand mehr so fleißig um die Grabstätte von Kaiser Tu Duc.
Darum sieht es dort mittlerweile auch so aus:





Obwohl - Drachen und kaiserliche Pferde und Elefanten gibt es dort immer noch...











Und wenn man ganz still ist und ein wenig wartet...




... dann kommt durch einen der vielen Gänge...




... manchmal sogar ein echtes Prinzenpaar."




"Mensch Mama! Du und Deine Geschichten! Das hast Du Dir doch alles nur wieder ausgedacht!"


Erwischt! Da ist doch tatsächlich mal wieder die Phantasie mit mir durchgegangen. 

Und dabei hätte das so ein schöner Tag werden können. Wenn da bloß nicht immer diese todlangweiligen Ausflüge wären...


Dienstag, 14. Oktober 2014

ALTERSLOS

Man merkt, dass man alt wird, wenn man mit der Straßenbahn fährt und sich ärgert, wenn eine alte Dame auf wackeligen Beinen und mit Gehstock einsteigt.

Nicht über die alte Dame. Aber über die Teenager, die sich auf den Sitzen direkt neben der Tür lümmeln, mit offenem Mund Kaugummi kauen und nicht im Traum darauf kommen würden, aufzustehen und der alten Dame ihren Platz anzubieten.

Tut mir leid, wenn ich da etwas altmodisch bin. Aber das haben wir damals geradezu mit der Muttermilch aufgesogen: Für alte Leute macht man Platz.

Um ehrlich zu sein: ich hatte das als Kind so verinnerlicht, dass ich vermutlich auch für Leute aufgestanden bin, die so alt waren, wie ich es heute bin. Seltsam, dass ich damals nicht bemerkt habe, dass die vermeintlich Hilfsbedürftigen eigentlich in der Blüte ihres Lebens standen.

Doch zurück zu den alten Leuten. Und zu Vietnam.

Neulich war ich abends mit der Fototruppe (angeführt von Matthias, dem Peter Lindbergh Asiens) in der Altstadt und danach auf der Long Bien Brücke unterwegs. 



Die Long Bien Bridge beginnt am Rande der Altstadt und führt über die „Stadtautobahn“ Au Co hinweg.




Dahinter überquert sie einen Markt und  dann die Felder, die den Stadtrand markieren.







Und schließlich den Roten Fluss.



Die Brücke sieht ein wenig so aus, wie ein umgekippter Eiffelturm, aber das liegt vermutlich daran, dass beide - Turm und Brücke - französische Erbauer hatten.



In der Mitte der Brücke verlaufen die Schienen. 



Auf ihnen verkehrt die staatliche vietnamesische Eisenbahn von Sapa im Norden bis nach Ho Chi Minh City im Süden. 




Rechts und links der Schienen verläuft jeweils eine schmale Straße, auf der nur Mopeds unterwegs sind. 


Das allerdings in einem Höllentempo. 




Zwischen den Fahrbahnen und dem - das war auch in der Dunkelheit noch gut zu erkennen -  unglaublich tiefen Abgrund rechts und links der Brücke, gibt es jeweils einen schmalen Fußweg. 



Man läuft auf Steinplatten, die lose auf der Metallkonstruktion aufliegen. Das scheppert beim Gehen ganz schön...

Nun bin ich unglücklicherweise ein Mensch, der es "nicht so mit großen Höhen hat“, wobei groß in meinem Fall ab 2 Metern beginnt.

So hielt ich mich denn auch konsequent genau in der Mitte des schmalen „Bürgersteigs“. Auf der einen Seite die Fahrbahn mit dem todbringenden Verkehr und auf der anderen nur ein rostiges Geländer zwischen mir und dem Abgrund.

Und da kam er: Ein älterer Herr, mit wehendem weißen Haar, faltigem Gesicht, gekleidet in ein - nennen wir es mal „luftiges Höschen“ und auf etwas wackeligen Beinen. Ganz offensichtlich auf seinem täglichen Abendspaziergang. 



Eine gewisse Ähnlichkeit mit Ho Chi Minh war nicht von der Hand zu weisen und trotz des vorteilhaften Lichtes, in das die untergehende Abendsonne die Brücke tauchte - er sah auch keinen Tag jünger aus als "Bruder Ho" es heute wäre.

Bei mir blitze sofort der Straßenbahnreflex auf: Ohne Rücksicht auf die eigene Sicherheit sprang ich auf die Fahrbahn mit den vorbeiflitzenden Motorrädern, um dem gebrechlichen alten Mann den sicheren Fußweg zu überlassen.





Der ging dann auch huldvoll und im Innersten gewiss zutiefst dankbar an mir vorbei.

Beglückt marschierte ich weiter, schoss hier und da ein paar „Brückenimpressionen“ und vergaß darüber fast die Begegnung.






Fast. Denn plötzlich sah ich ihn wieder. Den hilfsbedürftigen älteren Herrn. 

Der machte am Brückengeländer hoch über dem Roten Fluss seine abendlichen Gymnastikübungen. 



Das war dann einer dieser Momente, die mein Mann so liebt. 

Ich war sprachlos.