Donnerstag, 14. November 2013

SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD

Unsere Nachbarin ist gestorben. Wir sind sehr traurig.

Sie war 94 Jahre alt und wir haben sie nur sehr selten gesehen. Manchmal ging sie abends, wenn es schon dunkel war, durch die Gasse. Die grauen Haare zum Zopf gebunden, mit dicken Brillengläsern und gebücktem Rücken, ganz dicht an der Mauer zu ihrem Grundstück.

Immer hatte ich das Gefühl, dass ihr Gesichtsausdruck etwas erstaunt war, wenn sie uns sah. So als wunderte sie sich darüber, was diese "fremden Leute" in ihrer Straße machten...

94 ist das, was man bei uns "ein schönes Alter" nennt. Und auch in Vietnam ist es keine Selbstverständlichkeit, dass jemand so alt wird. Hier liegt die durchschnittliche Lebenserwartung bei 75 Jahren  - fünf weniger als in Deutschland - und der Respekt vor den Alten wird innerhalb der Gesellschaft GANZ GROSS geschrieben. 

Alten Menschen wird mit Hochachtung, manchmal sogar einer gewissen Ehrfurcht begegnet. Das spürt man im Alltag an Kleinigkeiten, aber es schlägt sich auch im Sprachgebrauch nieder. So werden alte Leute mit einem ehrfurchtsvollen "Ông" (Großvater) bzw. "Bà" (Großmutter) angesprochen. Auch von Menschen, die gar nicht mit ihnen verwandt sind.


Kein Wunder also, dass die Beerdigungsfeier einer so alten Frau mit einem gewissen Aufwand begangen wird.

Die Feierlichkeiten finden im Haus der Verstorbenen statt, bzw. im dazugehörenden Garten oder Hof. Wenn viele Gäste kommen, werden die angrenzenden Häuser bzw. deren Innenhöfe mitgenutzt. Bietet sich ja an, draußen zu feiern.

Und so ähneln die Innenhöfe unserer Nachbarn zur Zeit den hiesigen Straßenkneipen, den "Bia Hois": kleine Plastiktische, drumherum kleine rote Hocker, viel zu Essen und vor allem zu Trinken.

Die Gäste - vorwiegend Männer - tragen weiße Tücher um den Kopf. Dazu weiße Hemden und schwarze Hosen. Frauen sind kaum zu sehen - vermutlich alle in der Küche...

Und weil man manches nicht in Worte fassen kann, habe ich ausnahmsweise mal ein Filmchen aufgenommen. Wobei - eigentlich kommt es vor allem auf den Ton an! Bitte Lautstärke voll aufdrehen! Um es möglichst realistisch nachempfinden zu können, bitte als Endlosschleife laufen lassen... 





Jetzt mag der eine oder andere Spaßvogel dies mit dem Tipp "Dann macht doch die Fenster und die Türen zu! " kommentieren. Das zeugt allerdings nur von einer absoluten Unkenntnis der hiesigen Bauvorschriften:

Geräuschhemmende Mehrfachverglasung, Dichtungen an Fenstern oder Türen, Dämmmaterial unterm Dach, an den Wänden oder sonst irgendwo - sind nach Ansicht führender Bauexperten in Vietnam absolut "unnötig". 

Und deswegen wurde beim Bau unseres Hauses auch darauf verzichtet.

Das heißt im Klartext: Ob wir drüben direkt neben der Box stehen oder in unserem Haus hinter verschlossenen Fenstern und Vorhängen im Bett liegen - die Lautstärke ist nahezu identisch. 

Trauerfeiern dauern hier drei bis fünf Tage. 
Dabei spielt die Musik von 04.00 Uhr morgens bis nachts um 00.00 Uhr. 
Durchgehend.

Wie bereits gesagt. Wir sind sehr traurig, dass unsere Nachbarin gestorben ist.

Mittwoch, 13. November 2013

AUF DER FLUCHT

Der Wetterbericht klang gar nicht gut.

Abgesehen davon, dass Taifune - insbesondere solche, "die zu den größten und stärksten gehören, die seit Beginn der Messungen jemals das Festland getroffen haben" - eine gewaltige Schneise der Zerstörung hinterlassen, neigen sie zudem dazu, sich nicht an Vorhersagen zu halten.

Als wir Samstag morgen in Hanoi aufgebrochen waren, waren die Satellitenbilder im Internet noch eindeutig: 

Der Taifun würde über die Philippinen hinwegstürmen, dabei katastrophale Zerstörungen hinterlassen und danach weiter Richtung Zentralvietnam in die Nähe von Da Nang ziehen. Dort hatten auch schon die Evakuierungsmaßnahmen begonnen. Und Da Nang lag viele Hundert Kilometer südlich von der Halong Bay.

Am Samstagabend war die Vorhersage noch immer die gleiche, dennoch - und das irritierte uns etwas - hatten die vietnamesischen Hafenbehörden alle Ausflugsboote, die nachts in den Buchten lagerten, schon für Sonntagmorgen zurück in den Hafen beordert.

Die Schiffe würden auch am Sonntag nicht mehr rausfahren. Und die Boote für die Tagestouren, wie wir eine unternehmen hatten wollten, würden das auch nicht.

Selbst über die Fahrzeiten der Fähre herrschte Ungewissheit.

An diesem Abend konnten wir nichts mehr entscheiden, also beschlossen wir - gemeinsam mit einer befreundeten deutschen Familie aus Hanoi, die zufällig auch in der Lodge wohnte: 

Sonntag morgen sechs Uhr treffen sich zwei Vertreter der beiden Familien. 
Checken die Lage. 
Treffen eine Entscheidung. 

Bei der anderen Familie stand der Vater auf.

Zunächst erfuhren wir von unserer Gastgeberin, dass auch der Fährbetrieb für den gesamten Sonntag eingestellt worden war. Ein Blick ins Internet zeigte, dass der Taifun - entgegen aller bisherigen Vorhersagen - mitten auf dem Ozean die Richtung geändert hatte. Er wehte nun ziemlich genau Richtung Halong Bay.

Das machte die Entscheidung einfach: Heimfahrt.

Fehlte nur noch der Bus. Die anderen waren auch mit einem Shuttlebus gekommen, also ebenfalls ohne eigenen Wagen. Schließlich verkündete unsere Gastgeberin, dass sie einen Bus aufgetrieben habe: für nachmittags halb vier. 

Das hieß: rechnen. Der Taifun drehte sich in sich selbst sehr schnell - über den Philippinen mit über 300 km pro Stunde. Vorwärts bewegte er sich jedoch sehr viel langsamer - nämlich mit einer Geschwindigkeit von ca. 25 km pro Stunde vorwärts. Müsste reichen.

Und so verbrachten wir einen etwas unwirklichen Vormittag am Strand. Bei strahlend blauem Himmel und Sonnenschein. 

Ließen Drachen steigen. 
 

Sammelten Steine.




Und dachten doch ständig an den Sturm, der auf dem Weg zu uns war.

Als wir endlich in den Bus stiegen, hielt sich unser Bedauern über die Abreise daher auch in Grenzen. Und als uns nach und nach immer mehr Anfragen von Freunden und der Familie erreichten, die sich im fernen Deutschland um uns sorgten, da waren wir froh, antworten zu können, dass wir "ja schon auf dem Heimweg ins sichere Hanoi" waren.

Anrufe, SMS, Mail, What's app - und Facebook. Über alle Kanäle ließen uns Rita, Nadine, Wolfgang, Drea, Pia und andere wissen, dass sie an uns dachten. 

Kein Wunder - in den deutschen Medien wurden erst die Bilder der grauenhaften Zerstörung auf den Philippinen gezeigt und anschließend lapidar mitgeteilt, dass DIESER TÖDLICHE TAIFUN NUN DIREKT AUF VIETNAM ZUSTEUERTE. Es fehlte lediglich der Hinweis, dass der Taifun bereits immer schwächer wurde...

Die Rückfahrt in der einsetzenden Dunkelheit, bei starkem Regen und überfüllten Straßen war dann weit weniger angenehm als die Hinfahrt.


Und so waren wir abends um neun, als wir endlich in unsere kleine Gasse einbogen, im wahrsten Sinne des Wortes "happy, in Hanoi" zu sein.
 

Dienstag, 12. November 2013

ZAUBER VOR DEM STURM

Halong Bay - TRAUMZIEL aller Vietnamreisenden.

Und somit auch ein absolutes MUSS für Philipp, bevor er wieder nach Deutschland zurückkehrt.  

Wäre da nicht der Wetterbericht...

Samstag morgen sollte es losgehen - mit dem Minibus von Hanoi nach Halong Bay. 170 km, für die man immerhin 3-4 Stunden veranschlagt. Freitag abend hatten wir noch kurzzeitig erwogen, die Reise abzusagen, aber alle Wetterberichte waren sich in einem Punkt einig: der Taifun würde erst die Philippinen treffen und dann IN ZENTRALVIETNAM - also Hunderte von Kilometern südlich von uns - auf die Küste treffen.

Und so beschlossen wir, es zu wagen.


Morgens um sieben ging es los. Und die Fahrt über die - nennen wir es mal "Autobahn mit ländlichen Einschlägen" war mehr als abenteuerlich. Natürlich gibt es Streifen auf der Fahrbahn, die für den unerfahrenen Beobachter die Straße in zwei Spuren teilen. Bei näherer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, dass die vietnamesischen Verkehrsteilnehmer die Streifen mehr als "Dekoration" begreifen, die etwas von den Schlaglöchern ablenken soll, die die Fahrbahn übersäen.

Und deswegen wird auch munter zwischen der rechten und linken Fahrbahnseite gewechselt und besonders große LKWs mit schlechten Bremsen (um das zu erkennen, reicht ein Blick auf das 60er Jahre-Design der Fahrerkabine), machen gerne einfach mal in der Mitte der Fahrbahn eine dritte Spur auf... Steht ja dem entgegenkommenden Verkehr frei, auszuweichen oder zu bremsen.

Auf so einer Autobahn fahren nicht nur Autos und die eben erwähnten LKWs. Sonst wäre es ja nicht "ländlich". Für diesen Eindruck sorgen vielmehr die Mopeds, von denen unzählige - ebenfalls ständig munter die Spur wechselnd - die Autobahn bevölkern. Und "ländlich" sind natürlich nicht die Mopeds selber, sondern das, was sie "geladen" haben: drei halbe Schweine zum Beispiel; oder ein gutes Dutzend Hähne (lebendige natürlich), die an den Füßen zusammengebunden sind und deren Federn im Wind wehen; oder fünf Tonnen Gemüse; oder 17 Benzinkanister - vermutlich gut gefüllt; oder fünf beste Freunde, die mit ihren landwirtschaftlichen Geräten bepackt, hintereinander auf dem Moped sitzen und aufs Feld hinausfahren...

Leider geht auch die schönste Fahrt einmal zu Ende und so lag sie denn am Mittag vor uns: die Halong Bay. Leider hinter Wolken versteckt, so dass man außer ein paar Schatten nicht viel sehen konnte.

Wir bezogen erst einmal unser Quartier in der Viethouse Lodge auf einer der vorgelagerten Inseln. Für eine der klassischen Rundfahrten auf einer alten Dschunke waren wir zu spät dran, die war erst für den Sonntag eingeplant.  

Nun hätte es sich angeboten, den Nachmittag einfach am Pool zu vertrödeln, doch so ganz gegen seine sonstige Art, "erst mal alles ruhig angehen zu lassen", drängte Felix uns zu einem Ausflug auf der Fähre, die von unserer Insel dreimal am Tag zur Hauptinsel Cat Ba und wieder zurück fährt.

2 Euro pro Person - das war im Vergleich zu der Fahrt mit dem Ausflugsdampfer ein richtiges Schnäppchen - also ging es los zum Hafen.

Und weil man manches mit Worten nicht beschreiben kann....  
(Bilder anklicken, dann erscheinen sie groß als Bildergalerie.)













 
 

 





 



Nach drei Stunden in dieser Zauberwelt kehrten wir glücklich wieder ins Hotel zurück. Voller Vorfreude auf den kommenden Tag. 

Wäre da nicht der Wetterbericht gewesen...


Montag, 11. November 2013

BUNDESJUGENDSPIELE FÜR ARME

Für die einen rosige Kindheitserinnerung, für die anderen ewiger Makel: die Bundesjugendspiele.

Laufen, Werfen, Springen um die Wette und dann das große Bangen, während die Sportlehrer die Punkte zusammenzählten...

Manchmal lagen zwischen Triumph und Schämen nur wenige Zentimeter oder Sekunden. Reichte es für eine Ehrenurkunde? Aber doch wenigstens für eine Siegerurkunde? Mit leeren Händen nach Hause zu kommen - das wünschte man nicht mal seinem ärgsten Feind...

Und so gab es meist mehr als ein Kind in der Klasse, dass heimlich jubelte, wenn am Tag vor den Bundesjungendspielen per Lautsprecherdurchsage des Schuldirektors die Veranstaltung abgesagt wurde. Weil es zu sehr regnete oder einfach viel zu kalt für eine Freiluftveranstaltung war.

Hier in Hanoi ist das alles GANZ ANDERS.

Zum einen fällt hier - selbst im November - eine Veranstaltung eher wegen Hitze aus, als wegen zu niedriger Temperaturen.

Dann wurden bei der Veranstaltung in der UNIS die Disziplinen auf eine reduziert: das Laufen.

Und dann gab es hier kein einziges enttäuschtes, aber viele viele stolze Gesichter!

In der UNIS findet jährlich der Walk-a-thon statt. Teilnehmen dürfen alle großen Kindergarten- und die Grundschulkinder. Sie müssen versuchen, innerhalb einer vorgegebenen Zeit möglichst viele Runden zu laufen oder gerne auch zu gehen.

Vor dem Ereignis bekommen die Kinder eine Sponsorenliste. Dort sammeln sie die Spendenzusagen ihrer Sponsoren - der Menschen, die noch vor dem Rennen versprechen, für jede gelaufene Runde einen bestimmten Betrag zu spenden.

Oma gibt pro Runde 2 Dollar, Opa legt nochmal 3 obendrauf. Mama und Papa spenden 50.000 Dong pro Runde (ca. 2 Euro), die Adam's Family unterstützt Lotta und Luis natürlich auch und Gastbruder Philipp lässt sich auch nicht lumpen - will vorher aber ganz genau wissen, wie viele Runden die "Kleinen" in der Regel so schaffen...

Endlich ist der große Tag gekommen: 

Auf dem Sportgelände wird eine ca. 240 Meter lange runde Bahn abgesteckt.Viele Eltern sind gekommen, um anzufeuern und natürlich auch, um die Striche auf die Arme zu malen, die es für jede gelaufene Runde gibt.


 
Die Sonne steht hoch am Himmel - Sonnenhüte sind Pflicht.
 

Für die meisten Kinder ist es der erste Sportwettkampf ihres Lebens und entsprechend groß ist die Aufregung.


Vor dem Start: gemeinsames Aufwärmtraining mit Coach Andy. 





Fehlt nicht viel und die Eltern hüpfen mit - so mitreißend ist es...
 


Und dann geht es los! Die Kinder starten in zwei Runden. Die, die gerade pausieren, säumen die Laufstrecke und feuern an, was das Zeug hält.


Dass sowohl innen als auch außen an der Bahn Kinder stehen, die den Läufern ihre Hände zum Abklatschen entgegenstrecken, führt dazu, dass vor allem die kleineren Kinder die Strecke im Zickzack-Kurs bestreiten, um auch wirklich keine Hand auszulassen.



Aber auch erfahrene Läuferinnen lassen es sich nicht nehmen, "abzuklatschen" und genießen das Angefeuertwerden sichtlich.
 

Für jede gelaufene Runde bekommen die Kinder einen dicken Strich auf den Arm. Danach geht es sofort weiter.


Als der Abschlusspfiff ertönt, sind viele der Kleinen total erschöpft und brauchen erstmal dringend Wasser und - fast noch dringender eine Umarmung und Lob.

Dann geht es zurück in die Klassenräume, wo Eis und Obst auf sie warten. Solche sportliche Höchstleistungen müssen gefeiert werden.


Am Ende sind es weit über 10.000 Dollar, die die Kinder - unterstützt durch ihre Sponsoren - erlaufen haben.

Nicht für sich. 

Das Geld geht an arme vietnamesischen Kindern, die nun für ein weiteres Jahr in die Schule gehen können, weil Schulgeld oder Fahrkarten bezahlt werden.


Und dass auch die jüngsten Läufer wissen, worum es bei diesem Wettkampf geht, zeigt der Kommentar von Luis' kleiner holländischen Freundin nach dem Rennen:

Zuriya war gleich in der ersten Runde böse gestürzt und musste zur Krankenschwester, um die Wunder zu desinfizieren und ein Pflaster darauf zu kleben. Danach rannte sie jedoch sofort weiter und schaffte noch fast genauso viele Runden wie die anderen Kinder ihre Gruppe. 

Dennoch war sie am Ende etwas traurig: "Wäre ich bloß nicht zur Nurse gegangen. Dann hätte ich noch zwei Runden mehr geschafft. Und dann könnte NOCH EIN Kind in die Schule gehen!"


Und unsere persönliche Bilanz? Lottas und Luis' Ergebnis? Sagen wir mal so: Philipp hat ganz schön überrascht geguckt - 9 bzw 11 Runden - DAS hätte er den Kleinen gar nicht zugetraut...