Sie war 94 Jahre alt und wir haben sie nur sehr selten gesehen. Manchmal ging sie abends, wenn es schon dunkel war, durch die Gasse. Die grauen Haare zum Zopf gebunden, mit dicken Brillengläsern und gebücktem Rücken, ganz dicht an der Mauer zu ihrem Grundstück.
Immer hatte ich das Gefühl, dass ihr Gesichtsausdruck etwas erstaunt war, wenn sie uns sah. So als wunderte sie sich darüber, was diese "fremden Leute" in ihrer Straße machten...
94 ist das, was man bei uns "ein schönes Alter" nennt. Und auch in Vietnam ist es keine Selbstverständlichkeit, dass jemand so alt wird. Hier liegt die durchschnittliche Lebenserwartung bei 75 Jahren - fünf weniger als in Deutschland - und der Respekt vor den Alten wird innerhalb der Gesellschaft GANZ GROSS geschrieben.
Alten Menschen wird mit Hochachtung, manchmal sogar einer gewissen Ehrfurcht begegnet. Das spürt man im Alltag an Kleinigkeiten, aber es schlägt sich auch im Sprachgebrauch nieder. So werden alte Leute mit einem ehrfurchtsvollen "Ông" (Großvater) bzw. "Bà" (Großmutter) angesprochen. Auch von Menschen, die gar nicht mit ihnen verwandt sind.
Kein Wunder also, dass die Beerdigungsfeier einer so alten Frau mit einem gewissen Aufwand begangen wird.
Die Feierlichkeiten finden im Haus der Verstorbenen statt, bzw. im dazugehörenden Garten oder Hof. Wenn viele Gäste kommen, werden die angrenzenden Häuser bzw. deren Innenhöfe mitgenutzt. Bietet sich ja an, draußen zu feiern.
Und so ähneln die Innenhöfe unserer Nachbarn zur Zeit den hiesigen Straßenkneipen, den "Bia Hois": kleine Plastiktische, drumherum kleine rote Hocker, viel zu Essen und vor allem zu Trinken.
Die Gäste - vorwiegend Männer - tragen weiße Tücher um den Kopf. Dazu weiße Hemden und schwarze Hosen. Frauen sind kaum zu sehen - vermutlich alle in der Küche...
Und weil man manches nicht in Worte fassen kann, habe ich ausnahmsweise mal ein Filmchen aufgenommen. Wobei - eigentlich kommt es vor allem auf den Ton an! Bitte Lautstärke voll aufdrehen! Um es möglichst realistisch nachempfinden zu können, bitte als Endlosschleife laufen lassen...
Jetzt mag der eine oder andere Spaßvogel dies mit dem Tipp "Dann macht doch die Fenster und die Türen zu! " kommentieren. Das zeugt allerdings nur von einer absoluten Unkenntnis der hiesigen Bauvorschriften:
Geräuschhemmende Mehrfachverglasung, Dichtungen an Fenstern oder Türen, Dämmmaterial unterm Dach, an den Wänden oder sonst irgendwo - sind nach Ansicht führender Bauexperten in Vietnam absolut "unnötig".
Und deswegen wurde beim Bau unseres Hauses auch darauf verzichtet.
Das heißt im Klartext: Ob wir drüben direkt neben der Box stehen oder in unserem Haus hinter verschlossenen Fenstern und Vorhängen im Bett liegen - die Lautstärke ist nahezu identisch.
Trauerfeiern dauern hier drei bis fünf Tage.
Dabei spielt die Musik von 04.00 Uhr morgens bis nachts um 00.00 Uhr.
Durchgehend.
Wie bereits gesagt. Wir sind sehr traurig, dass unsere Nachbarin gestorben ist.
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