Lächelnd stehen sie vor mir.
Lotta und Little Chi.
Die eine 9, die andere 19 Jahre alt.
Beide könnten meine Tochter sein. Und - soviel Ehrlichkeit muss sein - ich wäre damit nicht in einer RTL-Reality-Serie über Teenagermütter gelandet...
Lotta geht auf die United Nations School in Hanoi und auch wenn sie immer noch steif und fest behauptet, ihre Berliner Schule (die in dem Altbau, für den seit Jahren das Geld für die neue Farbe fehlt), sei "1000 mal schöner gewesen", wissen wir doch, dass sie ihre neue Schule mit Schwimmhalle, Art Center, wunderschöner Bibliothek und hochmotivierten Lehrern mittlerweile auch sehr mag.
Little Chi gehört zum Volk der Schwarzen Hmong. Sie hat vier
Geschwister, zwei Schwestern und zwei Brüder. Als sie 8 war, haben ihre
Eltern sie von der Schule genommen, obwohl sie sehr gerne dorthin
gegangen ist. Aber sie sollte zu Hause helfen, auf die jüngeren Kinder
aufpassen, das Haus putzen, Stoff mit Indigo färben und mit bunten Fäden
besticken für die farbenfrohe Tracht der Hmong-Frauen.
Zu Lottas Geburt haben wir ein Sparkonto für ihre Ausbildung angelegt. "Fürs Studium", hieß es zuerst, dann haben wir uns rasch verbessert : "oder für die Autowerkstatt". Schließlich möchten wir keinen unnötigen akademischen Druck aufbauen und ziehen durchaus in Betracht, dass Lotta eher was Praktisches lernen möchte. Und Chefin eines Autowerkstattimperiums, das wär' doch auch was...
Seit drei Jahren arbeitet Little Chi als Guide bei den "Sa Pa Sisters". Ihre
Eltern haben dieser Tätigkeit zugestimmt. Geholfen hat dabei, dass Chis
verheiratete ältere Schwester und ihre ältere Cousine auch dort arbeiten.
"Sa Pa Sisters" - das ist eine Trekkingagentur in Sa Pa, die
Hmongfrauen gehört. Ausschließlich weibliche Angehörige dieser
ethnischen Gruppe arbeiten dort und müssen nicht wie die anderen Frauen
der Bergstämme bettelnd den Touristen hinterherlaufen, um ihnen die
immergleichen - oft maschinengefertigten - Bändchen und Täschchen
anzudrehen.
Die "Sa Pa Sisters" gehen vorweg. Und führen die Touristen
auf ein- oder mehrtägigen Touren durch die wunderschöne Bergwelt im Norden Vietnams.
Durch Reisfelder und Bambuswälder, auf schmalen Pfaden und bisweilen
entlang steiler Hänge. Die meisten von ihnen tragen weiße Badelatschen
und belächeln die professionelle Trekkingausrüstung Ihrer Kunden sanft.
Eine
gut ausgelastete Guide verdient im Monat weit mehr als den in Vietnam
üblichen Durchschnittslohn und der dürfte in den Bergen von Sa Pa noch
erheblich niedriger liegen.
Die Hmong haben eine eigene Sprache und Vietnamesisch zu lernen ist für sie genauso mühsam wie für uns.
Englisch hat Little Chi nicht in der Schule, sondern
allein von den Touristen gelernt. Und anders als
die zahlreichen Hotelangestellten und Kellner, denen wir sonst in
Vietnam begegnet sind, hat sie nicht nur eine sehr gute Aussprache, sondern auch noch einen enormen Wortschatz.
Sie ist schüchtern, aber wann
immer wir sie etwas fragen, lächelt sie freundlich, dann erklärt sie und
erzählt uns von dieser so fremden Welt um uns herum.
Sollte Lotta sich in einigen Jahren (wenn Sie das Studium absolviert,
bzw. ihr Autowerkstatt-Imperium aufgebaut hat) dann eines Tages doch
dazu entscheiden, einen der zahlreichen Prinzen zu erhören, die in den
nächsten Jahren vor unserer Tür Schlange stehen werden, werden wir ihr
einfach nur wünschen, dass ihre Hochzeit eine genauso tolle Party wird
wie unsere damals.
Little Chi soll in einigen Tagen heiraten. Sie kennt den jungen Mann nicht, ihre Eltern haben ihn für sie ausgesucht. Er ist eigentlich in ein anderes Mädchen verliebt, aber seine Eltern haben dennoch entschieden, dass es Little Chi sein soll. Ein dreifaches Monatsgehalt werden sie den Brauteltern zahlen und sobald das erst einmal übergeben ist, haben sie das Recht, Little Chi notfalls auch mit Gewalt in ihr Dorf zu holen. Bezahlt ist schließlich bezahlt...
Little Chi hat versucht, ihre Eltern zu überreden, ihr noch etwas Zeit zu geben. Sie möchte gerne weiter arbeiten und Geld verdienen und wer weiß, ob ihr Bräutigam und dessen Eltern das erlauben werden. Ihre Eltern haben das kategorisch abgelehnt. Und sie haben auch nicht verstanden, was Chi überhaupt wollte.
Sie hat ihre ältere Schwester um Hilfe gebeten, aber auch die hat ihr klar gemacht, dass sie besser jetzt zugreifen sollte. Immerhin sei sie schon 19 und würde mit den Jahren immer schwerer "vermittelbar".
Little Chi findet es nicht unnatürlich, dass ihre Eltern einen Mann für sie ausgesucht haben. Sie hätte nur noch gerne etwas Aufschub. Und sie findet es auch für ihren Bräutigam so schade, dass er sich von dem Mädchen trennen soll, das er liebt, um nun Little Chi zu heiraten.
Andererseits möchte sie später nicht als unverheiratete alte Frau ihren Geschwistern auf der Tasche liegen. Die Frau ihres Bruders habe auch schon signalisiert, dass sie nicht beabsichtige, Little Chi später "durchzufüttern", nur weil die sich jetzt querstelle.
Eine Flucht nach Hanoi? Theoretisch möglich, aber die Gefahr, dass ein junges Mädchen aus den Bergen in einer Großstadt wie dieser unter die Räder kommt, ist hoch. Und selbst wenn sie hier zur Schule ginge oder sogar eine Ausbildung machen könnte - sie hat schreckliche Angst davor, dass ihre Familie sie dann verstößt und auch davor , dass sich niemand um sie kümmert, wenn sie dann mal eine alte Frau ist. Die gleiche Angst, die ihre Cousine hat, die mit 30 ein "hoffnungsloser Fall" ist und ihr ebenfalls dringend rät, bloss nicht aufzubegehren.
Verheiratet zu werden mag schlimm sein, aber ohne Familie zu sein, das ist für ein Hmongmädchen vielleicht noch schlimmer.
Manchmal hätte ich gerne 2 Töchter.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen