Sonntag, 15. Juni 2014

IM REGEN

Das kann jedem mal passieren. Dass er im Regen stehen gelassen wird.

Wobei es da natürlich feine Unterschiede gibt - zum Beispiel hinsichtlich der Stärke des Regens. Das KANN ein leichter Frühlingsschauer sein, das KANN aber auch ein subtropischer Platzregen zu Beginn eines Sturms sein.

Eines aber ist unstreitig:

So wie ICH am letzten Wochenende, ist vermutlich noch NIE jemand im Regen stehen gelassen worden.

Vor 10 Tagen gab es einen Sturm in Hanoi. Wir sind nachts ein paar Mal aufgewacht, weil der Regen so gegen die Fenster prasselte, haben ansonsten aber nicht viel davon mitbekommen.

Erst am nächsten Morgen offenbarte sich, was wirklich los gewesen war: 

Überall auf den Straßen lagen abgebrochene Äste und Palmblätter. Die massiven Bauzäune am West Lake waren umgekippt. Einfach so. 
Unzählige Bäume am Uferweg waren umgeknickt, ihre Wurzeln ragten in die Luft. 
Am Ostufer des Sees war ein kleiner Altar aufgebaut: Ein paar Kajakfahrer waren trotz des Unwetters hinausgefahren und zwei davon hatten es nicht mehr zurück ans Ufer geschafft und waren ertrunken.
Am Mausoleum war ein riesiger Baum umgefallen. Auf ein Taxi. Fahrer tot.

Keine Frage, die Regensaison hat begonnen. Und mit Ihr die Zeit der Stürme.

Am Samstag feierte eine argentinische Freundin ihren Abschied von Hanoi. Felix war zu einem Abendessen eingeladen, ich fand keinen Babysitter, Luis hatte an den Tagen zuvor gekränkelt. Die Kinder allein zu Hause zu lassen, kam daher nicht in Betracht. Also setzten wir uns zu dritt aufs Moped und düsten rasch zum "Kitchen", einem kleinen Restaurant in Tay Ho.

Offenbar war ich mit meinen Kinderbetreuungs-Schwierigkeiten nicht die Einzige, denn nach und nach tauchten auch alle anderen Abschiedsgäste mit ihren Kindern auf. 
Da Natalia das gesamte obere Stockwerk reserviert hatte, war das gar kein Problem. In der einen Ecke spielten die Kinder, in der anderen schwelgten die Erwachsenen in Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse im vergangenen Jahr: Wie Felix - im "Messi-Trikot" - am argentinischen Stand auf der Spring Fair in Rekordzeit alle Grillwürstchen verkauft hatte, wie Natalia uns ihr Geheimrezept für Empanadas de Tucumán verraten hatte und nebenbei ihre Küchengeräte vor dem Umzug verscherbelte, wie wir alle auf der Fiesta Latina "Hola Hanoi" getanzt hatten, bis uns die Füße wehtaten.

In all dem Trubel verflog die Zeit und wir schreckten auf, als es plötzlich donnerte: Draußen prasselte der Regen und die Palmen vor dem "Kitchen" bogen sich im Wind.

Ein Blick auf die Uhr - höchste Zeit, die Kinder ins Bett zu bringen. Fragte sich bei dem Wetter nur - wie?

Der Plan, die Vespa stehen zu lassen und zu Fuß nach Hause zu gehen, war schnell verworfen.

Die Kinder durch das Wasser laufen zu lassen, das schon jetzt an einigen Stellen knöchelhoch stand? Bei Platzregen und starkem Wind? Ich musste an den Taxifahrer denken...

Da kamen uns zwei Freundinnen zur Hilfe. Dunia und Nikki hatten sich ein Taxi bestellt, das sie und ihre Kinder sicher nach Ciputra bringen sollte. Schnell stand der Plan: Lotta und Luis steigen mit ins Taxi und der Fahrer fährt erst zu uns nach Hause und danach nach Ciputra.  
Und ich auf der Vespa hinterher.

Die wenigen Meter bis zum Taxi reichten, um alle tüchtig nass zu machen, schließlich aber saßen die 6 - wenn auch etwas beengt - im Wagen und ich versicherte Lotta und Luis, dass wir uns gleich vor unserem Haus treffen würden.

Letzte Frage an Nikki und Dunia: "Ihr wisst doch noch, wo wir wohnen? Und könnt dem Taxifahrer den Weg beschreiben?" 
Betretenes Schweigen. "Äh, nein. Keine Ahnung."

Also andersrum: Ich erkläre dem Taxifahrer, dass er den Wagen wenden und dann mir hinterherfahren soll. "Okay okay!", lächelt er. Es scheint, er habe mich verstanden.

Der Regen prasselt auf den Helm und in mein Gesicht, während ich dem Auto hinterherschaue, das zur nächsten Kreuzung - gleichzeitig die nächste Wendemöglichkeit - fährt. 

Macht nichts. Nasser kann ich nicht werden. Nur das Wasser, das um meine Füße fließt, ist ziemlich kalt...

Ich starre den Rücklichtern des Taxis hinterher, sehe, dass er den Blinker setzt und - abbiegt! WENDEN sollte er! Dieser Trottel. 

Ich zögere noch kurz, aber dann wird mir klar, dass da hinten soeben das Taxi in der Dunkelheit verschwunden ist, in dem meine Kinder sitzen. Mit zwei Frauen, die nicht wissen, wo wir wohnen. Und von denen die eine mein Handy an sich genommen hat, um es vor dem Regen zu schützen.

"Sch....!" Ich fluche, wende nun meinerseits die Vespa und düse - so schnell das eben im tiefen Wasser geht - dem Taxi hinterher.

Es donnert, der Regen scheint noch stärker zu werden. 

An welcher Stelle in der To Ngoc Van Street war nochmal das fiese Schlagloch? Wer weiß, was hier alles gerade die Straße herunterfließt? Wenn der Motor der Vespa absäuft? Kann man das reparieren? Wenn die Kinder merken, dass ich "weg" bin? 

In dem Moment sehe ich, dass das Taxi an der Ecke zur Lane 67 anhält, weil ihm ein Wagen entgegenkommt. Das ist meine Chance! Ich gebe nochmal Gas und schaffe es, das Auto zu erreichen, bevor es wieder losfährt. 
Klopfe kräftig gegen das Seitenfenster des Fahrers. Zeige auf mich und signalisiere dann, dass er mir folgen soll.

Diesmal hat er tatsächlich verstanden und fährt brav hinter mir her.

Die ganz Situation ist irgendwie surreal. Es donnert. Meine Vespa pflügt durch das auf der Straße stehende Wasser. Der Regen prasselt, es ist unglaublich laut. Ein Auto kommt mir entgegen. Die Bugwelle, die es vor sich herschiebt, schwappt über meine Füße.

Schließlich stehen wir vor unserem Tor, ich stelle das Moped schnell ab, schließe das Tor auf und flitze zum Taxi, das tatsächlich stehen geblieben ist.

Schnell hole ich die Kinder aus dem Auto, ein in die Luft geworfener Kuss an Nikki und Dunia. Und schon stürzen wir ins Haus und schütteln uns erst einmal.

Lotta starrt mich an. "Boah, Mama, Du bist ja total nass. Wie geduscht! Da müssen wir schnell ein Foto von machen!"



Die Kinder haben es wohl doch ganz entspannt genommen.

Und offenbar ist Lotta mir NOCH ähnlicher, als ich bisher dachte....:-)




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