„Augen auf bei der Berufswahl!“ - diesen Ratschlag kann man seinen Kindern gar nicht eindringlich genug vermitteln.
Nirgendwo sonst - außer im Bett - verbringen wir so viel Zeit wie an unserem Arbeitsplatz. Und es ist ganz gleich, wie oft wir uns sagen, dass die „eigentlich wichtigen Dinge des Lebens“ ganz andere sind: das Lachen unserer Kinder, wenn ein neugieriger Hund ihre Füße beschnuppert; die gemeinsame Freude auf das Wochenende zu zweit in Venedig; das Tanzen bis die Füße weh tun auf der Party unserer FreundeFreunde* zu deren 40. Geburtstag…
Wenn wir ehrlich sind, legt sich über diese wirklich wichtigen Dinge viel zu oft ein kleiner Schatten.
Der von der Arbeitskollegin, die einen aus unerfindlichen Gründen nur an jedem dritten Tag zurückgrüßt, der von den Aktenbergen auf dem Schreibtisch, die wachsen, obwohl man doch pausenlos schuftet und nicht einmal mehr weiß, wo die Kantine ist, weil man seit Wochen keine Mittagspause mehr hatte, oder der von der Frage, ob man dem großen Ziel - einer ausgeglichenen „Work Life Balance" - irgendwann in den 30 Jahren bis zu Rente doch noch einmal näher kommen wird.
Um so wichtiger also, dass man seine Berufswahl grundsätzlich nicht in Frage stellen muss und daran zweifelt oder gar verzweifelt. Und ein Grund mehr, diese Wahl mit viel Bedacht zu treffen.
Ein Rat, den ich persönlich mir nach dem Schulabschluss gerne zu Herzen genommen hätte, wenn nicht die Entscheidung über mein eigenes - berufliches - Schicksal schon viel früher gefallen wäre.
Dabei gehöre ich nicht zu den Arztkindern, die zum dritten Geburtstag bereits ein echtes Stethoskop geschenkt bekommen und 15 Jahre später gar nicht anders können, als sich für den Studienzweig Medizin zu entscheiden. Und ich gehöre auch nicht zu den Landwirtskindern, denen bei der ersten Treckerfahrt mit einer ausschweifenden Armbewegung über die Felder vom Vater gesagt wurde: „Und eines Tages wird all das Dir gehören!"
Und ich gehöre auch nicht zu den Amtskindern, denen ein Reisepass mit vielen bunten Stempeln und ein großer Koffer als Symbol für das zukünftige Leben als weltenbummelnde Diplomaten in die Wiege gelegt wurde.
Und ich gehöre auch nicht zu den Amtskindern, denen ein Reisepass mit vielen bunten Stempeln und ein großer Koffer als Symbol für das zukünftige Leben als weltenbummelnde Diplomaten in die Wiege gelegt wurde.
Es war ein wenig später.
Zu meinem sechsten Geburtstag bekam ich von meinem Patenonkel Eberhard und seiner Frau Gisela einen Globus geschenkt.
Da stand ich, nur etwas mehr als einen Meter groß - und hielt die Welt in Händen.
Zugegebenermaßen anfangs etwas ratlos.
Aber auch neugierig.
Das besondere an diesem Globus war seine „Leuchtfunktion“: Man konnte eine kleine Lampe im Inneren einschalten und dann zeigten sich auf der Oberfläche nicht mehr die Staatsgrenzen, sondern die topographischen Strukturen der Kontinente und der Ozeane - Berge, Wüsten, Meerestiefen. Mit meiner Schwester verbrachte ich Stunden vor dem Globus. Warum ist Russland so groß? Und Luxemburg so klein? Warum sieht Afrika aus wie eine Pferdekopf, wie groß ist der Atlantik und warum ist Deutschland grün? Und wieviel von dieser Welt würde ich einmal „in echt“ sehen?
An diesem Tag ahnte niemand von uns, wie weit dieser Globus es einmal bringen würde. Dass er mich vom Elternhaus in Schwalbach erst nach Bonn und von dort nach Norwegen und Italien begleiten würde. Dass er danach auf einem Regal in Bosnien und anschließend auf einem Schreibtisch in Spanien stehen würde. Dass er dann wieder in einem Karton nach Berlin reisen und Platz auf meinem Fensterbrett finden würde. Dass er dort bliebe, während ich ohne ihn nach Afghanistan reisen würde, um zwei Jahre später gemeinsam mit mir nach Argentinien zu ziehen. Dass es von dort wieder zurück nach Berlin und im letzten Sommer nach Hanoi ginge.
Das hätte damals niemand gedacht.
Das Leben mit einem Beruf wie unserem ist nicht immer leicht. Zu oft muss man Abschied nehmen, zu oft ganz von vorne beginnen.
Und während Freundinnen diesem Job „durch Eheschließung entflohen“ sind, habe ich selbst diese Chance nicht genutzt - und einen Kollegen geheiratet. Doch nach zwanzig Jahren (Berufs- nicht Eheleben**) kann ich sagen: zum Glück!
Denn die Chance, so viele Länder richtig kennenlernen zu dürfen, einzutauchen in andere Welten und sich selbst immer wieder beweisen zu können, dass man es eigentlich überall schaffen kann - das ist ein großes Glück. Und trotz aller damit einhergehender Belastungen und immer mal wieder auftauchender Zweifel ein riesiges Geschenk.
Womit wir wieder bei meinem Patenonkel wären.
Als ich Onkel Eberhard das letzte Mal traf, war er von seiner Krebserkrankung schon sehr gezeichnet. Er konnte nur noch mit Hilfe eines kleinen Apparats sprechen.
Ich habe ihm das mit dem Globus erzählt. Und dass sein Geschenk damals vielleicht doch irgendwie der Auslöser für meine spätere Berufswahl war. Eine, mit der ich nach so vielen Jahren und vielen - sicher nicht nur schönen - Erfahrungen völlig im Reinen bin und die ich nicht bedauere.
Und dass wir auch als Familie dieses spannende Leben genießen, weil es uns zusammenwachsen lässt.
Ich glaube, das hat ihn gefreut. Er hat auf seine so typische Art verschmitzt gelächelt.
Und so werde ich ihn in Erinnerung behalten.
*Es gibt Freunde. Und es gibt FreundeFreunde. Es handelt sich hier nicht um einen Schreibfehler.
** Sechs Jahre Ehe sind natürlich auch ein großes Glück.
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