Sonntag, 28. Juni 2015

MÄNNERHERZEN

Der letzte Schultag vor den Sommerferien.

Für die meisten Kinder ein Grund zur Freude. Nicht für unsere Kinder. 

Das liegt zum einen daran, dass Lotta und Luis ihre Schule lieben und wirklich gerne hingehen.  

Natürlich soll hier nicht der Eindruck entstehen, unsere Kinder seien zwei kleine Streber, die um des Lernens willen in die Schule gehen. Nein! Eher nehmen sie den Unterricht als "Teil des Pakets" billigend in Kauf. Das Wichtigste am täglichen Schulbesuch ist und bleibt, dass man dort seine Freunde trifft. (In Bezug auf Lotta muss man fairerweise ergänzen, dass sie auch für das Schwimmtraining und den Coding Club den täglichen Weg auf sich nehmen würde...)

Zum anderen ursächlich dafür, dass der letzte Tag eines Schuljahres kein reiner Freudentag ist, ist der Umstand, dass er in einer internationalen Schule immer auch ein Tag des großen Abschiednehmens  ist. 

In jedem Sommer verlässt ungefähr ein Viertel der Schüler Hanoi und zieht mit seinen  "hochmobilen" Eltern weiter.  Ob sie wollen oder nicht.

Unsere Erinnerung an den eigenen Weggang aus Berlin ist noch frisch genug, um zu wissen, wie schwer es gerade Kindern fällt, ihr gewohntes Umfeld aufzugeben und ganz von vorne anzufangen. Auf sie wartet nämlich keine "neue, spannende Aufgabe", kein Karrieresprung, kein nächster Schritt zur beruflichen Selbstverwirklichung. 

Für die Kinder heißt der Weggang vor allem erst einmal: 

Wieder ein neuer, fremder Schulhof.

Wieder unzählige Augenpaare, die einen neugierig mustern oder - schlimmer noch! - gar nicht beachten.

Wieder das Gefühl der Hilflosigkeit bei jedem Klingeln, weil man sich immer noch nicht merken kann, wo in der neuen Schule die Turnhalle, der Pausenhof oder die Musikräume sind. 

Vielleicht sogar wieder eine neue Sprache und die Angst, dass alle einen für "blöd" halten, weil man auch die einfachsten Fragen nicht beantworten kann ... 

Doch zurück zum Abschiednehmen. Natürlich fällt in Anbetracht der unendlich langen Sommerferien (in diesem Jahr sind es fast 10 Wochen) die Trennung von den besten Freundinnen und Freunden schwer, denn im Prä-Facebook-Alter unserer Kinder helfen die sozialen Medien noch nicht über die endlosen Kilometer zwischen Japan, Vietnam, Australien und Europa hinweg.

Richtig schlimm ist es aber dann, wenn der Abschied für noch länger ist.

Zum Beispiel wie bei Luis und seinem Freund Vihaan aus Nepal. Der muss nämlich mit seinen Eltern nach New York ziehen und New York - soviel haben die beiden Jungen in der ersten Klasse bereits gelernt - ist richtig weit weg von Vietnam. Da kann man zwar mit dem Flugzeug hinfliegen, aber täglich Fangen und Fußball spielen, Hand in Hand zum Musikunterricht laufen und die täglichen gemeinsamen Fahrten im Schulbus sind einfach nicht mehr drin. Abgesehen davon, dass sich beide jemand Neuen suchen werden müssen, der verlässlich in jeder - IN WIRKLICH JEDER - Mittagspause den Platz neben sich frei hält, damit man auch ganz bestimmt zusammen sitzen kann. 

Und so gelingt es den beiden am Ende auch nur mit Mühe, die Tränen zurückzuhalten und statt des üblichen Geplappers herrscht gedämpftes Schweigen.

Doch Luis hat Vorsorge getroffen: Damit Vihaan ihn und die anderen Kinder aus der Klasse nicht vergisst, hat er ihm ein Erinnerungsbild gemalt.


Um ganz auf Nummer Sicher zu gehen, schenkt er ihm ein Buch mit Bildern von allen Kindern aus der Klasse.


Für den Fall, dass auch das nicht reichen sollte, hat Luis noch einen Brief geschrieben.




Und erklärt dazu: "Wenn Vihaan in New York mal alleine ist, kann er den Brief lesen. Dann weiß er wieder, dass er ganz viele Freunde hat. Nur eben auf der anderen Seite von der Welt."



Und tatsächlich - als Vihaan den Brief liest, ist er gleich viel weniger traurig. 

Seine Mutter fängt dagegen nun erst richtig an zu weinen. Aber das liegt vermutlich daran, dass Mütter einfach nicht wissen, wie das funktioniert - so eine echte Männerfreundschaft.




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