Mittwoch, 26. August 2015

AUSFLUG IN DIE VERGANGENHEIT

Die einen haben das Gefühl, das Thema habe ihre gesamte Schulzeit begleitet, wenn nicht sogar dominiert. Nationalsozialismus hier, 2. Weltkrieg da - bis es einem aus den Ohren rauskam.
Bei den anderen war das Schuljahr „zufällig“ immer schon fast um, wenn man im Unterricht zu den maßgeblichen Seiten des Geschichtsbuchs kam, so dass 12 Jahre Drittes Reich im Schweinsgalopp durchgehechelt wurden.

Allen gemein bleibt häufig die Frage: Auschwitz - muss man da hin?

Wir müssen nicht. Wir möchten. Und von Krakau ist die Gedenkstätte nur eine Stunde entfernt. Morgens um sieben steigen Felix und ich ins Taxi. Der Himmel ist düster und wolkenverhangen, neblige Wiesen rechts und links der Straße. Irgendwie passend zu unserer Stimmung.

Vor dem Gruppenschalter warten bereits in langen Schlangen Touristen, die den zahlreichen Reisebussen entstiegen sind. Aber unser Fahrer ist ein alter Hase. Und so betreten wir wenig später mit ein paar anderen "Individualreisenden" an diesem Morgen als Erste das Gelände.

Tiefe Pfützen auf den ersten Metern lenken den Blick zunächst auf den Boden. Als ich aufschaue, stehe ich unter dem Eingangstor. Über mir der Schriftzug „Arbeit macht frei“. 



Ich blicke auf den gepflasterten Weg hinter dem Tor. Häuserreihen. Dunkelroter Backstein. Vom Rauch der Jahre schwarz gefärbt.



Irgendetwas ist seltsam. Aber was? 


Ich gehe weiter und da fällt es mir ein. „Dieses“ Auschwitz ist bunt. Das in meiner Vorstellung war schwarzweiß.



Die wenigen Grasflächen leuchten grün. Dort zwischen den Häusern fanden Erschießungen statt. 



Überall Zäune. 



Stacheldraht.




Warnschilder.




Auschwitz 1 war das Stammlager. Hier gab es zahlreiche Verwaltungsgebäude, aber auch Zellen für Gefangene. Folterkeller. Hungerzellen. Wärterstuben. Kantinen. Gaskammern.

In den ehemaligen Verwaltungsgebäuden befindet sich jetzt die Ausstellung. 

Langsam wandern wir von Haus zu Haus.

Im ersten hängen riesige Schwarzweißbilder. Menschen, die entkräftet und verängstigt aus Zügen steigen. Mütter, die ihre Kinder an sich drücken und von SS-Leuten die Rampe entlang getrieben werden. 

In einem anderen Haus liegen hinter einer riesigen Glaswand die Brillen der Opfer. 

Im Kasten daneben hängt Häftlingskleidung.






Im nächsten Raum liegt ein Berg aus Prothesen, Schienen und Krücken. 


Daneben Bürsten, Kämme und Rasierpinsel.


   


Und dort drüben Töpfe und Kannen, die die Gefangenen mitgebracht hatten. In „die neue Heimat im Osten“, die man vielen von ihnen versprochen hatte.




All das habe ich in Dokumentarfilmen schon unzählige Male gesehen. Hier - nur eine Armlänge entfernt - fühlt es sich anders an. 

In den Fluren hängen Portraits der Häftlinge. Fotografiert von einem polnischen Mithäftling, dem es gelungen ist, diese Aufnahmen bei Kriegsende vor der Zerstörung zu bewahren.



Im letzten Schaukasten hängen Kinderkleidchen und bestickte Latzhosen.


In diesem Raum spricht niemand ein Wort.


Am Ende der Häuserreihen ist ein Gebäude, dessen Kellergewölbe in viele kleine Zellen unterteilt ist. Durch winzig kleine Löcher in der Außenwand kann man ein wenig Tageslicht sehen. Ich marschiere in eine Zelle hinein, weil ich wissen will, ob man durch die kleine Öffnung den Himmel sehen konnte. Oder nur einen Schacht.

Da entdecke ich eine kleine Gedenktafel, die in den Boden eingelassen ist. Hier - genau hier - verhungerte Pater Maximilian Kolbe. 

Nach der Flucht einiger Häftlinge hatten die Wärter wie üblich „ein Exempel statuieren“ wollen. Pater Kolbe meldete sich freiwillig, um einem anderen Gefangenen die Bestrafung zu ersparen. Den Tod durch Verhungern.


Im Erdgeschoss die Unterkünfte der Kapos.




Geradezu unglaublich komfortabel verglichen mit den Häftlingsunterkünften.


Mittlerweile regnet es. Mit gesenkten Köpfen gehen wir weiter. Und wären fast daran vorbeigelaufen: Das Haus, das dem „Leben vor Auschwitz“ gewidmet ist. 

Alte Filmaufnahmen von jüdischem Leben vor der Vertreibung, der Deportation, dem Völkermord. Heitere Musik und fröhliche bewegte Bilder, die an alle vier Wände des Raumes geworfen werden. Tanzende Mädchen, lachende Kinder, elegante Frauen und Männer bei einem Opernbesuch.

Im Obergeschoss hat jemand die Zeichnungen jüdischer Kinder aus dem Lager abgepaust und an die Wand gemalt.



Kinder, die kurz danach nicht mehr lebten.

Durch den Regen gehen wir zur anderen Seite des Lagers. Hier rechts geht der kleine Weg zur Villa des Lagerkommandanten ab. Wohnte der wirklich „mit Blick aufs Lager“? 

Links stehen Bäume, geradeaus geht es weiter durch ein paar Ruinen. Wir folgen dem Weg und gehen um einen in den Hügel hinein gebauten Komplex herum. Dort müssen wir kurz warten. Offenbar gibt es hier nur einen Eingang. Durch den verlassen gerade andere Besucher den halb unterirdisch gelegenen Gebäudeteil.

Nach kurzem Zögern gehen wir durch die Tür und stehen - in der Gaskammer von Auschwitz.


Über uns die Luken, durch die das Zyklon B hereingeworfen wurde. Am Ende des Raums ein Durchbruch zum Nebenraum, hinter dem Überreste der Verbrennungsöfen zu sehen sind. Um uns herum die Wände, die noch die gleichen sind wie damals.

Ich stehe da und lausche. Ob in mich hinein oder auf die Stimmen der Menschen, die hier gestorben sind - das weiß ich selber nicht.


Als wir zurück zum Wagen kommen, sind wir dankbar, dass der Fahrer es bei einem kurzen Kopfnicken belässt.

Es geht weiter nach Birkenau und auch hier ist mir der Eingangsbereich unheimlich "vertraut". 

Das langgezogene Gebäude mit dem Wachturm in der Mitte, unter dem die Schienen verlaufen, die zur Rampe führen.



Und dort auf den Gleisen sehen wir ihn: Ein einsamer Wagon. Sinnbild für millionenfaches Leid.


   
Birkenau sieht dann irgendwie eher so aus, wie wir uns ein Lager vorgestellt hatten. Auch wenn von den früheren Baracken nur die gemauerten Schornsteine übrig sind - auf der anderen Seite des Geländes hat man zahlreiche Baracken erhalten oder originalgetreu wieder aufgebaut.


Mittlerweile hat der Regen zugenommen. 
Graue Wolken hängen über dem Lager. Die Wege sind überschwemmt, Bäche fließen um die Baracken, von den Dächern fließt der Regen.


In den Baracken ist es düster und kalt. Und das im Sommer! Wie mag es hier gewesen sein, wenn draußen meterhoher Schnee lag? 



  
An den Schienen entlang gehen wir schließlich langsam Richtung Ausgang.


Über 70 Jahre - ein Menschenleben - so lange ist das alles mittlerweile her.

Aber wir schulden es denen, die dieses Leben nicht leben durften, dass wir nie vergessen, was hier geschah.



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