Montag, 21. Oktober 2013

ODER SO

Hat mal jemand versucht, seine Kinder während eines Strandurlaubes (mit perfekten Wellen!) davon zu überzeugen, dass es doch ganz schön wäre, zwischendurch mal einen "Kulturtag" einzuschieben? Dann kennt er vermutlich auch dieses Szenario: absolutes Unverständnis, Entsetzen gar, Trotz -  im schlimmsten Fall ein lautstarker Zwergenaufstand!

Glücklicherweise ist das bei unseren Kindern ganz anders. Da hilft immer folgender "magischer" Satz: "Sagt mal - was damals hier passiert ist, wie gefährlich das alles war und dass die Kinder am Ende alles gerettet haben - das habe ich Euch doch schon mal erzählt, oder?

Es folgt in der Regel ein Aufschrei der Entrüstung:"Nein, Mama, das hast Du uns überhaupt noch nicht erzählt! Was ist denn da passiert?" Ab diesem Moment ist es dann auch vollkommen gleichgültig, wo wir sind. Sie hängen an meinen Lippen und wenn ich wollte, würden sie mir wohl bis auf den Mount Everest folgen...- ich darf nur nicht aufhören zu erzählen.

Diesmal funktionierte der Trick in My Son, einer Tempelstadt ca. 50 km von Hoi An entfernt.
 

"Ich habe Euch doch schon mal erzählt, dass in Vietnam ganz oft Menschen aus anderen Ländern eingewandert sind und das ein paar von denen sich hier sogar richtig böse als Chefs aufgespielt haben, obwohl das gar nicht ihr Land war, oder? Es gab aber auch welche, die freundlich waren und ein paar von denen, die hießen Cham. Die kamen vor ganz ganz langer Zeit hier her: vor ungefähr 1800 Jahren, das sind fast 2000 Jahre!



Und die Cham kamen noch dazu von ganz weit weg - nämlich von dort, wo heute Indien ist. Und die bauten dann - mitten im gefährlichen Dschungel - wunderschöne Tempel. Und die sahen genauso aus, wie die Tempel bei ihnen zu Hause - nämlich total indisch. 


Das Besondere an den Tempeln war aber auch, dass die Cham einen Trick kannten, mit dem sie die Ziegelsteine aufeinandersetzen konnten, ohne Spachtelmasse dazwischen zu streichen. Das wollten sie nämlich nicht, weil sonst immer Moos auf den Tempeln wuchs und das fanden die Cham nicht so schön.

Irgendwann verschwanden die Cham aus der Gegend, in der sie die Tempel gebaut hatten, und die Tempel verschwanden, weil der Dschungel wieder darüber wuchs.



In diesen Jahren gingen viele der Tempel kaputt, aber einige blieben heil, nur sah man sie gar nicht mehr - unter all den Dschungelpflanzen.

Viele viele Jahre später kam dann ein französischer Archäologe nach My Son, um alle Tempel wieder freizulegen, so dass man sie anschauen und bewundern konnte. 


Der Archäologe kam aber nicht alleine nach My Son, er brachte seine Kinder mit. 



Die hießen Carlotta und Luis und fanden es total spannend, den ganzen Tag zwischen den Ausgrabungen herumzulaufen und zu spielen. Die beiden kannten wirklich jeden noch so kleinen Trampelpfad auf dem Gelände.




Eigentlich waren sie selber auch kleine Archäologen.


   

Dann geschah etwas Schreckliches: in Vietnam begann ein Krieg. Die Kinder und ihr Papa mussten sofort das Land verlassen. Als der Vater sich von den Tempeln verabschiedete, da weinte er. So traurig war er, dass er sie zurücklassen musste. 

Aus der Ferne versuchten sie dann immer wieder herauszubekommen, was in My Son geschah. Zum Glück hatten sie immer noch Kontakt zu ihren alten Nachbarn. 



Was die berichteten, klang überhaupt nicht gut: "Die Amerikaner werfen aus ihren Flugzeugen ganz viele Bomben auf unser Land", erzählten die Nachbarn in einem der selten zustande kommenden Telefonate. 




"Manchmal treffen sie Häuser, manchmal die Tempel - ganz viele sind schon kaputt! Aber meistens treffen sie gar nichts, sondern hinterlassen nur tiefe Riesenlöcher in den Feldern. Da muss man aufpassen, dass man nicht reinfällt...!"

Der Vater wurde immer trauriger und trauriger. Jeden Tag saß er in seinem Sessel und sah sich die 
vielen Fotos an, die er in My Son gemacht hatten.



Da hatten die Kinder eine Idee: sie schrieben einen Brief an den amerikanischen Präsidenten. Darin erklärten sie ihm, warum die Cham - Tempel in My Son so wichtig und so einzigartig waren und dass es einfach nicht sein konnte, dass sie nun von den amerikanischen Bomben zerstört wurden.

Lange warteten sie und als sie schon gar nicht mehr mit einer Antwort rechneten, das klingelte das Telefon. Ihr Vater ging an den Apparat und wurde ganz rot im Gesicht. 

"Ja, Herr Präsident. Das bin ich, der Archäologe von My Son." Dann lauschte der Vater. "Was? Sie haben angeordnet, dass mit sofortiger Wirkung rund um My Son keine Bomben mehr abgeworfen werden dürfen? Damit nicht noch mehr kaputt geht? Aber natürlich freut mich das, Herr Präsident! Dankeschön! Und dankeschön auch, dass Sie mich gleich angerufen haben. Auf Wiederhören, Herr Präsident!"

Der Vater umarmte und küsste die Kinder und alle drei sprangen fröhlich im Wohnzimmer umher.

Der Krieg dauerte noch viele Jahre, aber immerhin wussten sie nun, dass die Tempel nicht noch weiter zerstört würden.

Als schließlich Frieden herrschte, dauerte es viele weitere Jahre, bis ausländische Archäologen nach My Son durften.

Der Vater von Luis und Carlotta war mittlerweile schon so alt, dass er gar nicht mehr selber Ausgrabungen durchführen konnte. Aber mittlerweile waren seine Kinder erwachsen. Beide hatten Achäologie studiert wie ihr Vater und kehrten nach vielen Jahren nach My Son zurück und setzten das Werk ihres Vaters fort. Der besuchte sie regelmäßig und gab ihnen gute Ratschläge. 

Und so können heute Leute aus aller Welt nach My Son kommen und sich die Reste der wunderschönen Tempelanlage anschauen. Und sie müssen nicht mehr nach Angkor Wat reisen, weil es dort genauso aussieht.


Die Krater aber, die die Bomben geschlagen hatten, die sieht man heute auch noch und einige sind nur wenige Zentimeter von den Tempeln entfernt. So knapp war das damals im Krieg.

Und die netten Nachbarn - die haben den Krieg auch gut überstanden. Mit der hübschen Tocher geht Luis - der Archäologe - ziemlich oft eine Pho Bo (Rindersuppe) essen. 

Und danach spazieren sie im Sonnenuntergang durch die Tempel und freuen sich, dass ein kleiner Brief damals verhindert hat, dass alles zerstört wurde...."

Natürlich führt das schmalzige Ende zu Protesten beim echten Luis, aber mittlerweile hatten wir die komplette Anlage besichtigt und waren wieder auf dem Weg zum Auto.


Auf die Rückfahrt nach Hoi An hatten die Kinder natürlich überhaupt keine Lust. Sofort wurde gemotzt: "Viel zu heiß! Viel zu lang! Schon WIEDER Autofahren! Ich habe Durst. Ich muss mal. Und überhaupt!"

Da zeigte uns dann der Fahrer des Taxis den Trick, den ER für solche Situationen auf Lager hat:

Er klappte von der Autodecke einen Bildschirm herunter und schaltete vorne im Wagen einen DVD-Spieler ein.

Zwei Minuten später lachte die gesamte Kinderschar auf der Rückbank über einen uralten "Tom und Jerry"-Comic.

Oder so.

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