Dienstag, 10. September 2013

ALLER ANFANG...IST BÄR

Luis geht in Hanoi auf die internationale Schule UNIS HANOI und ist dort - anders als in Berlin - kein richtiges Kindergartenkind mehr, sondern "fast" schon ein Schulkind.

Eigentlich hatten wir gedacht, dass die Eingewöhnung für ihn am leichtesten sein würde, ein wenig nach dem Motto: "zum Spielen braucht es nicht viele Worte - also auch keine Fremdsprachenkenntnisse", aber da hatten wir das sehr schulische System der amerikanischen Kindergärten nicht bedacht. 
Der Alltag ist streng organisiert, es gibt einen Stundenplan, der festlegt, wann gespielt und wann gelernt wird und letzteres hat dabei bei Weitem den größeren Anteil: Rechnen, Lesen, Schreiben, Englisch für Anfänger, Vietnamesisch, Singen, Sport, Kunst (nicht etwa "Malen und Basteln") und - mein absoluter Favorit: PSEL = Personal Social and Emotional Learning.




Ich pädagogisches Greenhorn hatte natürlich gedacht, dass Sozialkompetenz den Kindern so "en passant" mal ebenso nebenbei nahe gebracht würde. Weit gefehlt: das ist ein richtiges Fach und mit goldenen, schwarzen und grünen Hüten (stehen für die unterschiedlichen Emotionen, die man äußern soll, wenn man den Hut auf hat) und einem ganzen Handpuppenzoo werden hier professionell die kleinen Gutmenschen und Weltenretter von morgen herangezogen.
Ein beruhigender Gedanke.
 
Luis hat die riesige Chance, die ihm hier geboten wird, mangels Lebenserfahrung natürlich nicht gleich erkennen können und war bedeutend skeptischer, als es das erste Mal in die Schule gehen sollte, dennoch gab er sich am ersten Schultag tapfer und wohlgemut.

Dann aber passierte die Sache mit dem Bus. Alle drei Kinder fahren mit einem privaten Schulbus in die UNIS. Das ist nicht nur praktisch, weil wir Eltern so nicht jeden Tag Taxi spielen müssen, sondern auch, weil sie auf diese Weise morgens gleich die Kinder aus der Nachbarschaft treffen, die ebenfalls auf die UNIS gehen.

Voller Vertrauen, dass schon alles gut gehen würde, setzten wir also Luis mit Lotta und Philipp in den Schulbus und voller Mutterliebe stieg ich in ein Taxi und fuhr (auf einer anderen Strecke) gleichzeitig zur Schule, um Luis am Kindergartentor zu erwarten und noch einmal Mut zuzusprechen.

Einziges Problem: er kam nicht. Während alle anderen Kinder aus dem Bus in ihren Klassen angekommen waren, blieb Luis verschwunden. Die nette Busbegleiterin hatte ihn versehentlich in einer falschen Kleinkindergruppe abgegeben und da er nicht erklären konnte, wer er war und die netten Erzieher und Sekretärinnen ihn nicht fragen konnten, in welche Gruppe er gehörte, dauerte es eine halbe Stunde bis wir schließlich zueinanderfanden und uns mitten auf dem Schulhof in den Armen lagen. Sehr tränenreiche 30 Minuten für Luis, sehr unangenehme 30 Minuten für all meine Gesprächspartner in dieser Zeit, denen ich - freundlich aber bestimmt - vorwarf, sie hätten mit ihrer organisatorischen Inkompetenz mein Kind verloren und die allesamt mit Schweiß auf der Stirn überlegten, ob ihre Berufshaftpflicht für den Fall des "Verbummelns eine süßen kleinen blonden blauäugigen Jungen" zahlen würde. 

Nach diesem anfänglichen Schrecken fürchtete ich zunächst, das Thema Schule sei für Luis erst einmal gelaufen. Dazu trug vielleicht auch die Reaktion seiner Erzieherin bei, die lediglich meinte, es sei nun Zeit "groß zu werden", er sei ja nun "kein Kindergartenkind mehr" und "er könne nun mal aufhören zu weinen".

Um hier noch etwas zu retten, musste ein Notfallplan her und der bestand im Wesentlichen aus drei Aktionen: 

1. ICH BLIEB in der ersten Woche ununterbrochen in der Schule. Erst auf dem Schulhof (kein wirkliches Vergnügen bei kanpp 40 Grad und gefühlten 100 % Luftfeuchtigkeit), in Sichtweite zum Fenster von Luis' Gruppe, später in der Schulbibliothek mit gelegentlichen Abstechern auf den Schulhof, zum Kunstunterricht oder zum Englischunterricht.

2. ICH MALTE jeden Abend einen Stunden-Tagesplan für Luis, damit er auch ohne Sprachkenntnisse wusste, was wann passieren wurde und - fast noch wichtiger: damit er durchstreichen konnte, welches Fach vorbei war und abschätzen konnte "wann es endlich vorbei war".

3. ICH SCHWÄRMTE bei jeder sich bietenden Gelegenheit der Erzieherin von unserer alten Kita in Berlin vor. Von der liebevollen Zuwendung der Erzieherinnen Uli und Rosa, von der lateinamerikanischen Herzlichkeit und den unentwegten Umarmungen und Zuneigungsbeweisen, die der kleine Argentinier Luis nun schmerzlich vermisse und von der unglaublichen Sozialkompetenz seiner Berliner Spielkameraden, von Pablo und Sebastian und Yara, die sich immer so liebevoll und aufmerksam um jedes neue Kind gekümmert hätten.

Nach ein paar Tagen war es so weit. Die Erzieherin überlegte nicht nur ernsthaft, ob sie sich bei dieser Berliner Kita bewerben sollte, sie nahm nun  auch Luis immer mal wieder beiseite und redete ihm gut zu, sie ermunterte die beiden deutschsprachigen Mädchen in seiner Gruppe immer wieder, mit ihm zu spielen und mit ihm gemeinsam Aufgaben zu erledigen und: sie vertraute ihm Toby Bear an. Das ist so eine Art Klassenmaskottchen, heißgeliebt von allen, das hin und wieder bei Kindern aus der Gruppe übernachten darf. Eine ganz besondere Auszeichnung und Verantwortung und wie der "Zufall" es wollte: bei der nächsten Verlosung, wo Toby Bear einmal übernachten darf, zog die Lottofee (=Klassenlehrerin) Luis und der kam mit stolzgeschwellter Brust nach Hause und verkündete stolz: ich habe heute keinmal geweint und nur einmal Wasser in der Augen gehabt, aber das zählt ja nicht.



Den Besuch von Toby Bear haben wir dann natürlich ausführlich dokumentiert und nun geht Luis alleine in die Kita. Das morgendliche "Auf Wiedersehen, Mami", mag manchmal noch ein wenig verzagt klingen, aber mit einem fröhlichen "Du packst das, Luis, mein Großer!" wird es von Tag zu Tag ein wenig leichter...



Was bleibt, ist die Erkenntnis, das kein noch so hoher Auslandszuschlag Kindertränen zu trocknen vermag. Und dass wir mit unserer Kita Alegria in Berlin ein Riesenglück hatten...



3 Kommentare:

  1. Die "nette Busbegleiterin " ist ne Torfnase!Leider spricht Sie kein englisch.

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  2. Liebe Natascha,

    deine Art zu schreiben ist so bildhaft, dass man sich selbst auf dem Schulhof sieht. Danke für das Vergnügen und ein Bussi für den kleinen Prinzen-er macht das großartig!

    Alles Liebe aus der kalten Heimat, Anke

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  3. Liebe Natascha,

    deine Art zu schreiben ist so bildhaft, dass man sich selbst auf dem Schulhof sieht. Danke für das Vergnügen und ein Bussi für den kleinen Prinzen-er macht das großartig!

    Alles Liebe aus der kalten Heimat, Anke

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