Mittwoch, 11. September 2013

BIG BROTHER IS WATCHING YOU


Bereits vor dem Umzug hatte Lotta immer wieder mehr als deutlich gemacht, dass SIE gegen den Umzug nach Vietnam war. 

Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem sie von der Schule nach Hause kam und mich mit dem Vorwurf überraschte: "Mama, offenbar hast DU ja keine Freunde." 

Auf mein stotterndes: "Doch, Lotta, ich habe auch Freunde!" hin, dem ich in Gedanken ein "Ich habe nur viel zu wenig Zeit, sie zu sehen..." hinzufügte, motzte sie dann los:"Ach ja? Und warum willst Du dann hier weg? Ich habe hier nämlich Freunde, ECHTE Freunde: LUISA und Isa und Linda und Aydee und Paula und Pauli und Lou und ....." - es folgte eine lange Auflistung und die Feststellung: "Wenn Du auch Freunde hättest, dann würdest Du auch in Berlin bleiben wollen und nicht nach Vietnam ziehen!"



Es folgte ein etwas kläglicher Versuch meinerseits, ihr Vietnam und das viele Spannende und Neue, das wir dort erleben würden, schmackhaft zu machen, aber ein echter Trost war das nicht. Lediglich der Hinweis, dass wir vielleicht ein Haus mit Swimmingpool finden würden, wurde mit einem gewissen Ineresse zur Kenntnis genommen. Kein Wunder, hatte doch Lotta schon als Dreijährige in unserem Pool in Argentinien (den sie am liebsten nur zum Schlafen verlassen hätte) vermutet: "Vielleicht bin ich ja kein Kind. Vielleicht bin ich ja ein Fisch."

Doch auch dieser vermeintliche Joker verlor schnell seinen Reiz. Wenige Tage später folgte die nächste Attacke. Wieder kam Lotta aus der Schule, wieder motzte sie:"Und selbst wenn wir in Vietnam Millionäre sind - ich will da nicht hin!" Offenbar hatte Lotta in der Schule ebenfalls mit dem Swimmingpool-Joker versucht, ihren von Abschiedsschmerz geplagten Freundinnen ihren Umzug zu erklären und war dabei sofort mit der Frage konfrontiert worden, ob wir in Vietnam etwa Millionäre sein würden. Klare Drittklässler-Logik: Pool = Millionäre. Mein Versuch, Lotta zu erklären, dass es durchaus Millionäre ohne Pool gibt, vor allem aber auch Menschen mit Pool, die keine Millionäre sind, wurde im Keim erstickt. Voller Pathos klang es durchs Kinderzimmer:"Und selbst WENN wir in Vietnam Millionäre würden - ich will lieber hier bei meinen Freunden bleiben. Die sind mir viel wichtiger, als Millionär zu sein!"

Ich weiß gar nicht mehr, was mich in diesem Moment mehr begeisterte: ihr korrekter Gebrauch des Konjunktivs oder die eigene erzieherische Glanzleistung, einer Achtjährigen erfolgreich vermittelt zu haben, dass echte Freunde sich nicht mit Gold aufwiegen lassen.
Getrübt wurde die Begeisterung lediglich durch die Erkenntnis, dass es noch schwerer werden würde als gedacht, Lotta aus ihrem Berliner Umfeld herauszureißen und in Hanoi wieder einzupflanzen...

Dies vorab zur Erklärung, warum wir Lottas 1. Schultag an der UNIS mit gemischten Gefühlen entgegensahen...

Einen Tag vor dem offiziellen Schulbeginn gab es eine Einführungsveranstaltung für die Neuen, hier "incomings" genannt. Viele Reden, viel Selbstdarstellung und viel amerikanische Herzlichkeit. Die Kinder wurden (offenbar geht es dabei nach den Familiennamen) "Häusern" zu geteilt. Kenntlich gemacht wird das durch den jeweiligen Häusern zugeordnete Farben und Tiere, die sich wiederum auf TShirts, Pullis, Taschen und anderen Accessoires wiederfinden. 



Ich frohlockte zunächst, weil dies sowohl Lotta als auch mich selbst sofort an Hogwarts erinnerte. Und auch wenn die modernen Bauten der UNIS, umgeben von Sport- und Tennisplätzen, sonst so gar nichts mit der altehrwürdigen Zaubererschmiede gemeinsam haben - die Zugehörigkeit zu einem Haus müsste Lotta doch irgendwie als etwas ganz ganz tolles Harry-Potter-Mässiges zu verkaufen sein!
Auch hier war leider der Konjunktiv überaus passend... Während Philipp zu den Buffalos, Farbe Blau gehört, gehören Lotta und Luis zu den Eagels, Farbe - ja, schlimmer hätte es kaum kommen können: Slytherin-GRÜN. Mit den Adlern hätten wir uns ja - Yakari, dem kleinen Zeichentrickindianer sei Dank - noch abfinden können. Aber die gleiche Farbe zu tragen wie Lucius Malfoy, Harry Potters fiesestem Widersacher? Langsam wurde es eng. Und langsam hatte auch Lotta "etwas Wasser in den Augen".

Und dann sprangen plötzlich gleich drei Joker aus dem Nichts hervor:

1. der große Bruder auf Zeit
Lotta entdeckte beim Herumspazieren auf dem Schulhof die Fotos der 10tklässler, darunter auch das von Philipp. Da wurde ihr nochmal klar, dass wir ja "vorgesorgt" hatten und extra für sie einen großen Bruder mitgebracht hatten, der sie - egal wie groß die Schule auch ist - immer im Auge behalten würde, so dass sie ja nie ganz alleine in der Schule wäre.



2. Die Klassenlehrer

Carlotta wurde der Klasse von Mr. Stuart aus Schottland und Mrs. An zugeteilt. Zwei echte Schätzchen, herzlich, freundlich und letzterer - dank zweier Jahre an der deutsch-schweizerischen Grenze: mit minimalen Deutschkenntnissen!




3. das "andere" deutsche Mädchen
Ob umsichtige Planung bei der Zusammenstellung der Klassen oder glücklicher Zufall - in Carlottas neuer Klasse gibt es noch ein anderes deutsches Mädchen!


Und Taina ist nicht nur ein Mädchen (wie Lotta) und aus Deutschland (wie Lotta), sie kann auch noch erst ganz wenig englisch sprechen - wie Lotta!

Dass Taina auch noch "um die Ecke wohnt" ist ein weiterer Vorteil, dass sie aber auch noch jede Menge Humor hat, scheint fast zuviel des Glücks ...





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