Dienstag, 2. Februar 2016

SCHÖNE BESCHERUNG

Wochenlang habe ich diesen Tag herbeigesehnt:

Heiligabend in Bagan.

Und auch wenn ich mich letztlich gegen den halbstündigen Ballonflug bei Sonnenaufgang zum einmaligen Schnäppchenpreis von 380 US$ entschieden habe: Mittlerweile weiß ich dank Reiseführer und Internetseiten, von welchen Pagoden aus man morgens auch ohne Ballon einen wunderbaren Blick über die Pagodenfelder hat.

Früh um fünf will ich mich - wieder in Begleitung meiner tapferen Mit-Frühaufsteherin Carlotta - auf den Weg machen. 

Doch es kommt etwas dazwischen: Ein Riesenschwindel.

Nein! Niemand hat gelogen oder betrogen - MIR SCHWINDELT! Und wie...

Es beginnt am Vorabend von Weihnachten, wenige Stunden nach unserer Ankunft in Bagan. Ein Flimmern vor den Augen hier, ein leichtes Schwanken dort. Gegen 7 klappe ich dann vollends zusammen.

Um mich herum schwankt alles hin und her. Die Welt dreht sich. Ich kann mich nicht einmal von der rechten auf die linke Seite des Bettes bewegen, ohne laut zu jammern. An gehen ist nicht zu denken. Nicht einmal aufrecht sitzen kann ich. Eine "leichte" Panik überkommt mich - ich fühle mich einfach schrecklich!

Und über allem der lähmende Gedanke, dass Bagan 610 km von Yangon (also eine eintägige Busfahrt) und 180 km (also eine eintägige Flussfahrt) von Mandalay entfernt ist, also der so ziemlich ungeeignetste Ort auf unserer Reiseroute, um zu erkranken. 

Auf meine Familie musste ich jedenfalls einen sehr elenden Eindruck machen (Felix googelt gleich nach den Erkennungsmerkmalen eines Schlaganfalls), so dass sie sich entscheidet, trotz der schlechten Erfolgsaussichten nach einem Arzt zu rufen.

Und das Wunder geschieht: ein schmächtiger junger Mann in Jeans betritt nur eineinhalb Stunden später unser Hotelzimmer und versichert uns

a) dass er Arzt sei 
b) dass sein Englisch schlecht sei (dieses sehr glaubhaft) und 
c) dass er dennoch fast 300 Ausländer behandelt habe, mit dieser "besonderen Spezie" Mensch also auf Beste vertraut sei.

Siegesgewiss verkündet er denn auch nach kurzer Untersuchung, dass ich - typisch für eine Frau meines fortgeschrittenen Alters - unter Bluthochdruck leide. Und der könne eben auch zu starkem Schwindel führen, eventuell....

Felix’ Hinweis, dass mein Bluthochdruck eigentlich nicht besonders hoch ist, wischt der Doktor mit den Menschen dieses Berufsstandes so eigenen Nonchalance elegant bei Seite und verweist auf die immerhin 300 Ausländer, die er bereits behandelt habe. 

Die Nachfrage, ob der Umstand, dass ich in den letzten Tagen sehr wenig getrunken und noch weniger geschlafen habe, dafür aber ständig mit einem 15 Kilo schweren Fotorucksack herumgelaufen sei, etwas mit meinem Unwohlsein zu tun haben könnte, will der Arzt weder bejahen noch verneinen. Man wisse das bei Frauen meines Alters nie so genau….

Geschwind verpasst er mir noch zwei Vitaminspritzen und entschwindet dann in die Nacht.

Am Heiligen Abend, besser gesagt Morgen, taucht er dann wieder auf, ist zutiefst betrübt, dass sich mein Befinden noch nicht gebessert hat und hilft mit zwei weiteren Vitaminspritzen nach. Und einer ansehnlichen Mischung von kleinen und großen weißen Pillen, die Felix mir mehrmals am Tag verabreichen soll.

Was dieser denn auch tut. 

Bevor der Doktor das Krankenzimmer diesmal verlässt, verweist er noch einmal auf die finanzielle Notlage der Mediziner in seinem Land. So verdiene er beispielsweise magere 200 US$ im Monat und habe deswegen auch so kalte Hände - für die er sich an dieser Stelle noch einmal entschuldigt. Mangels Geld für ein Taxi habe er nämlich mit dem Motorroller kommen müssen.

Eine Rechnung in Höhe von 250 US$ für die immerhin zwei Hausbesuche, in der die großzügig verschriebenen Medikamente und sogar die vier Injektionen enthalten sind, erscheint Felix hiernach durchaus angemessen.

Und da die Behandlung meinen Zustand zwar noch nicht verbessert, aber immerhin auch nicht verschlechtert hat, sind er und die Kinder auch gerne bereit, auf Bitten des Arztes ein paar Erinnerungsfotos mit ihm zu machen, bevor er weitereilt.

Ich bekomme auch von diesem zweiten Besuch nur am Rande etwas mit und verbringe - bis auf wenige Unterbrechungen, in denen mir dann regelmäßig ein myanmarischer Tablettenmix verabreicht wird -  nicht nur den Heiligen Abend, sondern auch noch den ersten Weihnachtstag im tiefen, nur von starken Schwindelanfällen unterbrochenen Schlaf.


Am zweiten Weihnachtstag bin ich wieder soweit hergestellt, dass ich mich im Morgengrauen mit meiner Familie auf den Weg zum Flughafen machen kann. Zwei Stunden später sitze ich im Flieger nach Mandalay.

Dort wandeln wir dann leider nicht wie ursprünglich geplant mit Robbie Williams im Ohr durch die Straßen der Stadt, sondern warten am Flughafen auf den Anschlussflieger nach Bangkok.

Am späten Nachmittag sitze ich im Bumrungrad Hospital Bangkok und sowohl die HNO-Ärztin als auch der Neurologe können nur noch eine "Spontanheilung" feststellen. Die in Myanmar verabreichten Tabletten begutachten sie kritisch und bestätigen uns, dass sie vielleicht nicht wirksam, aber höchstwahrscheinlich auch nicht schädlich waren.

Mag sein, dass der junge Arzt in Wirklichkeit ein myanmarischer Schamane war. 
Auch möglich, dass das myanmarische Drogengesetz im Hinblick auf gewisse Medikamente doch nicht so restriktiv ist, und die unscheinbaren weißen Pillen über unglaubliche Heilkräfte verfügten. 

Ebenso wenig kann ich ausschließen, dass die schwindelerregend hohen Behandlungskosten einen heilenden Gegenschwindel ausgelöst haben. 

Am wahrscheinlichsten erscheint mir jedoch die Erklärung, dass es die liebevolle Betreuung meiner Mitreisenden war, der ich verdanke, so schnell wieder gesundet zu sein.

Wie sagte mein Vater so schön bei unserer Hochzeit?


"Glück gehabt!"




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen